„Ich halte doch nicht die Luft an“

Crazy und krass, unangepasst und verwegen: die Malerin Cornelia Schleime

von Christhard Läpple

Die Atmosphäre ist festlich. Alle Reden betonen das Wort Vielfalt. Das aktuelle Mantra des Kunstbetriebes. Künstlerinnen und Künstler werden geehrt. Eine, die stets besonders unangepasst war, für ihr Lebenswerk: die Malerin Cornelia Schleime. Brandenburgs Ministerpräsident Woidke überreicht die Auszeichnung. Kameraleute und Fotografen halten die Ehrung fest. Selbst Conny, die freche, widerspenstige, ungezähmte Punk-Lady vom Prenzlauer Berg, steht brav im Rampenlicht. Sie äußert ein paar freundliche Dankesworte. Geschafft. Aber besser lassen wir ihre Bilder sprechen. Sie sind derzeit auf drei Ausstellungen im ganzen Land zu sehen: in Augsburg, Stuttgart und Frankfurt/Oder.

Selbstporträt als Schaf, 2010

Cornelia Schleime ist mittlerweile 72 Jahre jung. Seit kurzem belegt sie einen Tango-Kurs. Leben ist Tanz, erzählt sie, als wir in Ruhe miteinander plaudern können. Stillstand sei nichts für sie. Im Gegenteil: In Auftritt, Denken und Handeln zeigt sich die Künstlerin geistig beweglicher als viele aus der Gen Z. Von Verzagtheit und Weltschmerz keine Spur. Die Vollblut-Malerin, Autorin, Filmerin und Performerin ist ein Gesamtkunstwerk. Sie ist wie ihre Heimatstadt Berlin: crazy und krass, unangepasst und verwegen. Dabei verbringt sie inzwischen mehr Zeit in der märkischen Streusandbüchse. Draußen auf dem Lande. Zwischen Blumenkohl, wortkargen Nachbarn und Windrädern.

Ob Überwachung in der DDR oder Profitstreben im Kapitalismus: Cornelia Schleime sucht und findet Antworten in ihren Bildern. Das ist für sie gelebter Eigensinn und Widerspruch. Anpassung? Pustekuchen! Kunst ist frei und Farbe ihr Element. Sie performt einen wilden Mix aus Romantizismus, Nostalgie und Vielschichtigkeit. Hinzu eine kräftige Prise Fantasie, Leichtigkeit, Selbstironie und Witz. Malen ist für sie „ein Liebesakt“. Einer ihrer Vorbilder ist der Surrealist Luis Buñuel. Schleimes Bildkompositionen kombinieren häufig Frauen mit Tieren. So zaubert sie Fabelwesen, geheimnisvoll, stark und selbstbewusst. Die Schleime-Menschen. Das Besondere: Die Blicke der Porträtierten ziehen uns, die Betrachtenden, magisch in ihre Bilder. Schau mir in die Augen, Baby!

In den Lobesreden wird sie eine Rebellin genannt. Das einstige Punk-Girl vom Prenzlauer Berg, als das Altbauviertel tatsächlich noch anders und kreativ war. Ein verfallender Kiez direkt an der Mauer, die Mietshäuser mit Ofenheizung, begehbaren Dächern und Klo auf halber Treppe. In diesen Nischen blühten Freiräume. Gelebte Opposition in den Farben der DDR. Das ist der Humus der Berliner Pflanze Conny, die sanft und poetisch sein kann, wenn sie will: „Eine Fabuliererin mit Lust am Absurden“, lobt eine Kunstkritikerin. Schleimes Motto: „Überleben durch Schönheit, um nicht an der hässlichen Wahrheit durchzudrehen.“

Bondage, Hüpstedt/DDR, 1982
Cornelia Schleime, 2008
Rotkäppchen, 2020

„Sie hasst Langeweile und Glattheit. In der DDR wurden ihre Arbeiten verboten, heute hängen sie weltweit in Museen und Galerien“, vermerkt der Deutschlandfunk. Schleime hat sich jeden Schritt in ihrem Leben hart erkämpft. Mal verträumt und mädchenhaft, mal durchgeladen wie eine Kalaschnikow.

DDR-Punk mit Zwitschermaschine: Conny Schleime, Ralf Kerbach, Wolfgang Grossmann

Die waschechte Berlinerin lernt Friseurin, jobbt als Pferdepflegerin auf der Rennbahn in Dresden. Dabei möchte sie mit Siebzehn nur eines werden: Künstlerin. Doch die DDR, in der sie erwachsen wird, setzt enge Grenzen. Unbeeindruckt probiert sie sich aus: als Grenzgängerin. Sie wird Frontfrau der ersten DDR-Punkband Zwitschermaschine, Friedhofwächterin, Maskenbildnerin, Aktmodell und Fotografin.

Sie studiert Malerei in Dresden, lernt mit Achtzehn den Lyriker Sascha Anderson kennen. Leitfigur der Untergrund-Szene vom Prenzlauer Berg. Im Nebenberuf Haus- und Hof-Barde der Stasi. Er verrät viele Dissidenten der Szene und seine Freundin Conny gleich mit. Schleime wird mit Ausstellungs- und Berufsverbot belegt. „Natürlich hat mich das persönlich hart getroffen. Er hat sich bei mir entschuldigt, und diese Entschuldigung habe ich auch angenommen.“

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Cornelia Schleimes Selbstporträts mit dem Titel Auf weitere gute Zusammenarbeit (1993) beruhen auf ihren eigenen Stasi-Akten. Ein Gespräch mit der Künstlerin im Rahmen der Ausstellung It’s Just a Matter of Time. Sammlung Deutsche Bank im Dialog (10. April bis 18. August 2025). Video, ca. 1h20min.

Sie ist Anfang Dreißig, als sie die kleine DDR mit dem großen Sozialismus-Anspruch verlässt. Das ist 1984, nach fünf erfolglosen Ausreiseanträgen. Erst als Schleime mit Hungerstreik droht, darf sie gehen. Pointe am Rande: Die DDR-Behörden erfahren von ihren Plänen durch ein abgehörtes Telefonat der Stasi. Umgehend heißt es: Raus aus dem Land, innerhalb von 24 Stunden. So reist sie „mit Sohn Moritz, einem Koffer und einem Federbett“ nach West-Berlin aus. Zurück bleiben etwa hundert Ölbilder und tausend Zeichnungen. Beschlagnahmt oder vernichtet? Niemand weiß es bis heute. Ihre frühen Arbeiten sind bis auf ein paar Fotos und einige Super8-Filme nicht mehr aufgetaucht.

Der Neuanfang im Westen? Schwierig. In West-Berlin ist sie völlig unbekannt. Freiheit fordert ihren Preis. Das Geld wird ständig knapp, sie muss erfinderisch sein. „Ich habe meinen Sohn auf dem Spielplatz geschickt, dass er mir Sand mitbringt, im Eimerchen. Dafür hat er zehn Pfennige bekommen. Er hat ein bisschen Angst gehabt, er musste Sand klauen. Den habe ich mit Farbe vermischt. Dadurch bin ich wahrscheinlich so experimentierfreudig geblieben.“

In den späten 1980er Jahren bekommt sie ein DAAD-Stipendium für New York. Mit der dort dominierenden Konzeptkunst kann sie nichts anfangen. Als Antwort auf eine Ausstellung mit Gartenzwergen in einer angesagten New Yorker Galerie malt sie dreißig Porree-Bilder. Schleimes Kommentar: „Konzeptkunst ist arschlos.“ Als im Herbst 1989 die Mauer fällt, ist sie gerade in New York. Sie entschließt sich zurückzukehren.

Seit einem halben Jahrhundert nun malt, dichtet, singt, schreibt, filmt und inszeniert Schleime, was ihr auf der Seele brennt. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie lacht gerne, redet viel und schnell, langweilt sich angesichts des szenetypischen „Kunstgelabers“. Die Berlinerin ist bodenständig, aber künstlerisch hoch kreativ. Der lebende Gegenentwurf zum verkopften Vernissage-Milieu von Berlin-Mitte. Sie sagt: „Lachen befreit.“

Für den, der von mir will, was ihm nicht zusteht, 2022

In letzter Zeit wird sie mit Auszeichnungen und Preisen überschüttet, 2025 erhält sie sogar das Bundesverdienstkreuz. Eine späte Anerkennung, „obwohl Frauen in der Kunstbranche das Doppelte bis Dreifache leisten müssen, bis sie anerkannt werden“, sagt ihr Galerist Judin. Heute gilt Cornelia Schleime als „Grand Dame“ und „eine der besten Malerinnen des Landes“.

Nach der Preisverleihung bittet das Land Brandenburg zum Empfang in den Festsaal von Schloss Neuhardenberg. Bei Sekt, Fingerfood und Smalltalk feiert sich die Festgesellschaft selbst. Doch nach kurzer Zeit bildet sich in einer Ecke des Saals eine stetig anwachsende Gruppe, die lebhaft, laut und hitzig debattiert. Mittendrin Cornelia Schleime. Typisch!

Was ist los? Es geht um Sprache, Sensibilität und Gleichberechtigung. Frauen aus dem Kulturbetrieb werfen Schleime vor, nicht gendersensibel zu sein. Ihre Sprache sei unzeitgemäß und reaktionär. Diese Vorwürfe lässt die gebürtige Ost-Berlinerin nicht auf sich sitzen. Sie nenne sich weiterhin „Maler“. Punkt. Aus. Emanzipation und Freiheitswille seien keine Frage von Sprachdogmen und Floskeln, das sei einfach nur Zeitgeist. Sie habe sich im Osten allen Sprachregelungen widersetzt, da bleibe sie sich auch im heutigen ‚Westen‘ treu. Zwei Kulturen crashen ungebremst aufeinander. Es wird lauter. Die umstehenden Damen sind entsetzt. Worte und Bekenntnisse fliegen wie Giftpfeile über das frisch gebohnerte Parkett.

Die Frau sollte Herrin ihrer selbst sein: Finde den Halt in dir selbst, frei von allen dogmatischen Debatten, frei von Konsens.

Cornelia Schleime

„Wenn ich nicht gendere, heißt das noch lange nicht, ich bin eine von der AfD“, sagt sie noch, als sie die aufgeheizte Streitrunde verlässt. Dann geht sie hinaus auf die Terrasse, steckt sich eine Zigarette an und lächelt. Ob denn niemandem aufgefallen sei, dass alle wohlformulierten Reden stets die Bedeutung von Unangepasstheit und Vielfalt betont hätten. Tja, genau das sei ihr Leben. Das werde sie nicht mehr ändern. Die Kunstszene liebe Vielfalt, ergänzt sie noch, aber nur solange alle gleich ticken, denken und sprechen. Wie langweilig!

Dieser Beitrag ist die erweiterte Fassung eines Blogs, den unser Autor am 13. Oktober 2025 auf seiner Webseite veröffentlicht hat.

  • Christhard Läpple
    *1958. Babyboomer. Wir waren immer zu viele: in Kita, Schule, Uni, im Job. Trotzdem gute Zeiten. Kein Krieg, keine Diktatur, keine Armut, keine Not. Das soll so bleiben. Dafür trete ich an: in Wort, Bild, Ton und Text. Auch nach vier Jahrzehnten ZDF.

Bildnachweise

Cornelia Schleime, 2008: © Markus C. Hurek, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons

DDR-Punk mit Zwitschermaschine: Wolfgang Grossmann, Public domain, via Wikimedia Commons

Alle anderen Abbildungen erfolgen mit freundlicher Erlaubnis von Cornelia Schleime. Das Foto Bondage stammt von Bernd Hiepe.

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