
„Die Wahrheit wird euch freimachen“
von Christhard Läpple
9/11, Snowden, Trump und die Folgen: Pulitzer-Preisträger Tim Weiner zieht in seinem neuen Buch über die CIA im 21. Jahrhundert eine bestürzende Bilanz. Trump habe den mächtigsten Geheimdienst der Welt „in die Kontrolle von Dilettanten und Speichelleckern“ übergeben. Und der Präsident selbst sei heute die größte Gefahr für die nationale Sicherheit der USA.
Mein Herz klopft doppelt so schnell. Wir verlassen den George Washington Parkway an der Abfahrt Langley. Die Straße mündet plötzlich in einem gigantischen Checkpoint mit zahllosen Fahrspuren und Kontrollhäuschen. Es ist im Herbst 1998. Wir sind am Hauptquartier der CIA angekommen. Hier residiert der mächtigste Geheimdienst der Welt. Unser Mietwagen wird von einem Wachposten sofort zur Seite gewunken. In herrischem Ton fragt er: Wer sind Sie? Was wollen Sie hier? Haben Sie eine Erlaubnis?
Ende einer Dienstfahrt. Schlusspunkt eines Versuchs, mit der CIA direkten Kontakt aufzunehmen. Zugegeben: Es war natürlich naiv. Aber ich wollte für eine ZDF-Reportage herausfinden, ob wir die Rosenholz-Akten einsehen können. Oder wenigstens mit jemandem darüber reden. Die Rosenholz-Aktion war ein typischer CIA-Coup am Ende des Kalten Krieges. Die US-Geheimdienstler hatten sich mit Hilfe eines Moskauer Überläufers die Akten von über 1.500 aktiven Westagenten der Stasi gegen Dollars besorgt. Eine Auskunft bekamen wir nicht. Dafür mit hoher Sicherheit eine eigene Akte in deren CIA-Datenbank.

Womit wir damals kläglich gescheitert sind, ist dem zweifachen US-Pulitzerpreisträger Tim Weiner eindrucksvoll gelungen – ein scharfer Blick hinter die Kulissen des omnipräsenten Geheimclubs. Auf über 600 Seiten berichtet der frühere Korrespondent der New York Times in seinem neuen Buch über: Die Mission. Die CIA im 21. Jahrhundert. Der CIA-Mythos. Das Auge, Ohr und scharfe Schwert der Vereinigten Staaten seit 1947. Weltweit. 24/7. 365 Tage im Jahr.
Was ist typisch für die Damen und Herren von Langley? „Spionage, Infiltration, Rekrutierung, Desinformation, Sabotage und direkte Aktion – also Tötung von Menschen“, schreibt Tim Weiner. Das volle Programm: Regimewechsel, geheime Gefängnissysteme, Undercover- und Zersetzungsmaßnahmen. „Geld ist die effektivste Waffe der CIA“. Leugnen und Täuschen das tägliche Geschäft. „Spionage ist überall illegal. Täuschung ist ihr Wesen, und Lügen sind ihr Schutzschild.“
Das 21. Jahrhundert beginnt in der US-Logik mit dem Anschlag vom 11. September 2001. Ground Zero, das totale Versagen der insgesamt siebzehn amerikanischen Geheimdienste. Was folgt, ist der Auftakt zum weltweiten ‚Krieg gegen den Terror‘, der bis heute anhält. Die Spionagetruppe CIA führte seitdem, laut Weiner, verdeckte Aktionen in 92 Nationen durch. Das Budget wurde nach dem Anschlag auf die Twin Towers in New York auf drei Milliarden Dollar verdoppelt. Entscheidender noch: Präsident Bush erteilte die Lizenz zu töten.
Afghanistan, Taliban und CIA
Die CIA wird im Ausland zu einer paramilitärischen Truppe im Kampfeinsatz umgebaut. Drohnen und Teams von Auftragsmördern sind unterwegs. Der Geheimdienst leistet sich „Killertrupps“. Diese liquidieren tatsächliche und vermeintliche Terroristen. Da löscht eine Hellfire-Rakete auf einen Taliban-Terroristen, gesteuert in Katar, abgefeuert mithilfe einer Kampfdrohne in Kabul, eine komplette neunköpfige Großfamilie aus, darunter sieben Kinder. „Kollateralschaden“, heißt das dann. Opfer einer Verwechslung.
Wir müssen fähig sein, uns höchst unmoralisch zu verhalten, und uns dabei von den höchsten moralischen Grundsätzen leiten lassen.
Minutiös zeichnet Weiners Insider-Buch den zwanzigjährigen Afghanistan-Einsatz nach. Der von Washington installierte afghanische Präsident Karzai sei stets eine Marionette der CIA geblieben. Ein Mann ohne Ansehen, Macht und Autorität. Und: „Ein Musterbeispiel für die Behauptung, dass Macht korrumpiert“. Die Operation Enduring Freedom – nach George W. Bush „ein guter, ein gerechter Krieg“ – endet im August 2021 im Desaster. Afghanistan wird zum zweiten Vietnam der Vereinigten Staaten. Die bittere Pointe: Abzug und Evakuierung der USA aus Afghanistan geraten zur politischen Katastrophe für Präsident Joe Biden. Nach Weiner ist „das mit den Taliban geschlossene Doha-Abkommen“ der „Giftbecher“, den Donald J. Trump seinem Nachfolger als Abschiedsgeschenk überreicht.
Die Afghanistan-Geschichte zeigt All- und Ohnmacht einer Weltmacht. Washington verfügt mit der CIA über einen der effektivsten Geheimdienste der Welt, aber auch ihm sind Grenzen gesetzt.
Russland, Putin und Trump
Der CIA-Russland-Komplex. Ist Trump Putins nützlicher Idiot, und hat Putin dem US-Emporkömmling 2016 zum ersten Wahlsieg verholfen? Das bizarre Verhältnis zwischen dem Kreml-Chef und Trump hat eine spannende Vorgeschichte. Ohne diese Verwicklungen vor Russlands Überfall auf die Ukraine 2022 ist das ständige Taktieren und Lavieren von US-Präsident Trump heute nicht zu verstehen. Es geht um die sehr speziellen Beziehungen zwischen Donald J. Trump und Wladimir Putin. Zwei seelenverwandten Alpha-Männern mit Hang zum Größenwahn.
Trump war bereits 1987 in Moskau, um ein Luxushotel am Roten Platz zu bauen. Wie immer suchte der New Yorker Businessmann den perfekten Deal. Seine Zahlungsfähigkeit nach einem zwischenzeitlichen Bankrott „beruhte teilweise auf russischem Geld“, erfahren wir bei Tim Weiner. „Und er hatte eine Vorliebe für russische Frauen.“ Trumps Gier, seine Korruptheit und Egomanie hätten ihn über drei Jahrzehnte hinweg zur Zielscheibe für russische Geheimdienste gemacht. Noch 2016 versuchte Trump sein Hotel in Moskau zu bauen und „flirtete noch immer schamlos mit Putin“.
In Washington kursierte im ersten Wahlkampf 2016 ein Dossier des ehemaligen Leiters der Russland-Abteilung des MI 6. Christopher Steele verfasste es für Hillary Clintons Wahlkampteam; dort hieß es, es gebe eine heimlich mitgeschnittene Verabredung mit Prostituierten in einem Moskauer Hotel bei der Miss-Universe-Wahl 2013. Für Trump waren das erfundene Berichte der Geheimdienste und somit Gestapo-Methoden. Lautstark schimpfte er, es gehe zu wie „einst in Nazi-Deutschland“.
Weiner präsentiert zahlreiche Hinweise für aktive russische Wahlkampfhilfe. Im März 2016 engagierte Trump mit Paul Manafort einen Geschäftsmann, der sei, so das US-Außenministerium, „seit fünfzehn Jahren ein russischer Strohmann.“ Trumps Motto: Alles, was Hillary Clinton schadet, nutzt – und wenn es mit Hilfe Putins geschieht.
Im Wahljahr 2016 gab es 38 Treffen und 272 Mail- und Telefonkontakte von Russen mit Trumps Wahlkampfteam. Eingefädelt von dem maltesischen Mittelsmann Joseph Misud, der sich in einem Londoner Hotel direkt mit Trump traf. Sein Lockmittel: Tausende gehackte, kompromittierende Informationen über Hillary Clinton. Zusammengestellt durch eine „Internet Research Agency“, laut Weiner eine hundertprozentige Troll-Fabrik des russischen Geheimdienstes mit Sitz in St. Petersburg.
Diese Troll-Agentur überflutete im Wahlkampf 2016 die Sozialen Medien der USA und erreichte 126 Millionen Facebook-Nutzer; auf Twitter betrieben Putins Trolle fünfzigtausend falsche Twitter-Konten. Ab Juni 2016 postete das Portal Guccifer 2.0 viele der Tausend gehackten Mails der Demokraten von Hillary Clinton.
Dankbar griff das Trump-Team weitere Leaks von Julian Assange auf, „feierte dessen Arbeit und erhielt dafür im Vorfeld Informationen, was als Nächstes kommen würde“. Der russische Auslandsgeheimdienst GRU und WikiLeaks tauschten per Twitter Direktnachrichten aus. „Ich liebe WikiLeaks“, verkündete Trump im 2016er-Wahlkampf. Später ließ er Assange fallen.
Im November 2016 gewinnt Trump äußerst knapp die Wahlen. Achtzigtausend Stimmen geben am Ende den Ausschlag. Pete Strzok, Leiter der FBI-Ermittlungen zum „Russland-Schwindel“ mit dem Decknamen Crossfire Hurricane: „Ich glaube nicht, dass Trump ohne russische Hilfe gewählt worden wäre.“
In der Ära Obama/Joe Biden reaktivierte die CIA ihr sogenanntes „Russland-Haus“. Deren Parole: „Auf zu den Waffen“. Fünf CIA-Chefs seien mit ihren Agenten und Analysten in den Kampf gegen Moskau gezogen. Weiner: „Es war eine Investition, die sich enorm auszahlen sollte“.
Bereits im Oktober 2021 warnte die CIA eindringlich vor Russlands Überfall. Putins Krieg gegen die Ukraine begann am 22. Februar 2022. Dabei habe Putin, so die CIA, ein völlig falsches Bild von der Stärke seiner Streitkräfte gehabt. Er sei nicht nur blind für die Lügen und die Korruption gewesen, die sie zersetzten, sondern auch für die Inkompetenz und die Arroganz der Generäle, die sie befehligten.
Ohne die USA hätte sich die Ukraine allerdings nicht halten können. Die CIA lieferte Spionageausrüstung zum Aufbau von Überwachungssystemen und zum Abhören der Mobiltelefone. Nur so waren Sabotageakte gegen Öl-Depots und militärische Ziele im Landesinnern Russlands möglich oder Anschläge zum Beispiel auf General Waleri Gerassimow am 1. Mai 2022, der allerdings scheiterte. Die CIA wurde zur besten „Verteidigungswaffe“ gegen die Russen. Die Strategie? „Feuer mit Feuer bekämpfen.“
Für die Sprengung der zwanzig Milliarden teuren Nord-Stream-II-Pipelines Ende September 2022 macht Tim Weiner den ukrainischen Geheimdienst verantwortlich. Der SBU-Oberst Roman Tscherwinski sei „Organisator dieses Sabotageakts gewesen“, er habe auch „Einsätze zur Tötung prorussischer Separatistenführer in der Ukraine geplant und durchgeführt“. Die Rolle der CIA im Ukraine-Krieg? Tim Weiner zitiert Luis Rueda, Chef der Planung von verdeckten Operationen, der erklärt: „Helfen wir den Ukrainern? Ja. Aber wir tun es, weil es Russland schwächt und unsere Position stärkt, nicht aus moralischen oder humanitären Gründen.“

CIA im 21. Jahrhundert
CIA-Insider Weiner warnt am Ende seines Buches vor einer weiteren bedrohlichen Entwicklung. Der US-Geheimdienst stehe unter ‚Friendly Fire‘, und zwar direkt aus dem Weißen Haus. Weiner: „Dieses Buch erscheint in einer Zeit großer Gefahr. Zu den größten Herausforderungen für die CIA in der nächsten Zeit wird der Mann im Weißen Haus gehören. Ein autoritärer Führer, der die augenfälligste Gefahr für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten seit dem Beginn dieses Jahrhunderts darstellt.“

Was tun in Zeiten, in denen Autokraten ihre Wahrheiten predigen, aber von ihren Lügen profitieren? Im Weißen Haus müsse man den Ring des Präsidenten küssen, bemerkt Weiner bissig. Unbequeme Wahrheiten oder gar Widerspruch seien nicht erwünscht. Seit seinem zweiten Amtsantritt 2025 habe Trump auch die CIA auf Linie bringen lassen. So müssen mittlerweile alle Mitarbeiter einen Treuetest mit drei Fragen absolvieren: Haben Sie Trump gewählt? War die Wahl von 2020 nicht etwa gestohlen? Wie stehen Sie zum Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021?
Fünfzig führende, altgediente CIA-Mitarbeiter wurden entlassen. Das Trump-Team mit der Parole „Make America Great Again“ nennt sie „Feinde im eigenen Land“. Trump habe die CIA „in die Kontrolle von Dilettanten und Speichelleckern“ übergeben. Da Mitarbeiter mit größter Erfahrung gefeuert wurden, befürchtet Tim Weiner: „Die Gefahr eines folgenschweren Geheimdienstversagens“ sei wieder „so groß wie zu Beginn des 21. Jahrhunderts“.
Dieses Buch erscheint in einer Zeit großer Gefahr. Zu den größten Herausforderungen für die CIA in der nächsten Zeit wird der Mann im Weißen Haus gehören. Ein autoritärer Führer, der die augenfälligste Gefahr für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten seit dem Beginn dieses Jahrhunderts darstellt.
In die Eingangshalle im CIA-Hauptquartier von Langley bin ich damals nicht gelangt. Keine Chance. Ich musste draußen vor der Tür bleiben. In der Lobby steht das Motto des allmächtigen, sagenumwobenen US-Geheimdienstes. „Und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“
Das Bibelzitat aus dem Johannes-Evangelium 8,32 erzählt die Geschichte von Jesus, der seinen Jüngern in großer Gefahr zuruft: „Nur die Wahrheit führt zur Freiheit.“

Tim Weiner
Die Mission – Die CIA im 21. Jahrhundert
9/11, Snowden, Trump und die Folgen
Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag, 2025
608 Seiten
Hardcover 29,00 € / E-Book 24,99 €

Dieser Beitrag ist die erweiterte Fassung eines Blogs, den unser Autor am 23. Juli 2025 auf seiner Webseite veröffentlicht hat.
Bildnachweise
Kehraus in Langley: © Dennis Brack / Pool / EPA
CIA-Hauptquartier in Langley: Carol M. Highsmith, Public domain, via Wikimedia Commons
Eine bizarre Beziehung: © IMAGO / ZUMA Press Wire / Brian Cahn
Sechs Monate Trump-Regierung: @whitehouse / potus
Tim Weiner: © Jörg Steinmetz / S. Fischer Verlag
Christhard Läpple: © Andreas Schoelzel







