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Streaming-Tipp

Wer am lautesten lügt, gewinnt

Spannend, komisch, böse und beunruhigend: der Dokumentarfilm Der Trump-Einflüsterer in der ARD-Mediathek

von Achim Forst


Seine Fake News bereiteten den Weg zum Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021: Roger Stone, der Mann, der seit Richard Nixon republikanischen Präsidentschaftskandidaten mit Schmutzkampagnen diente.

Der Film beginnt mit einem älteren Mann im Streifen-Hemd mit dunkler Krawatte, der entspannt zurückgelehnt an einer gigantischen Zigarre pafft und sagt: „Die westliche Zivilisation zu retten, ist harte Arbeit.‟

Der Mann heißt Roger Stone und hat mit seinen strategisch vielfach wiederholten Lügen den Sturm aufs Capitol am 6. Januar 2021 vorbereitet. Schon für die erste Trump-Kampagne 2016 hatte er den Slogan „Stop the Steal‟ erfunden. Damals glaubte nicht einmal Trump selbst daran, dass er die Präsidentschaftswahl gegen Hillary Clinton gewinnen würde. Der Spruch verschwand ungenutzt in der Schublade und konnte vier Jahre später nach dem Sieg von Joe Biden dann wieder hervorgeholt werden.

„Die westliche Zivilisation zu retten, ist harte Arbeit.‟

Der dänische Filmemacher Christoffer Guldbrandsen kam 2018 in die USA, um vor der US-Präsidenten-Wahl einen Film über die „Make America Great Again“-Bewegung zu machen, über ein Land, in dem „der lauteste Lügner gewinnt‟ (Guldbrandsen). Nur zufällig begegnet er dabei dem begnadeten Strippenzieher Roger Stone, der seit fast 40 Jahren mit Donald Trump befreundet ist. Der ‚Königsmacher‘ hat von Richard Nixon bis zu Trump mehreren republikanischen Präsidentschaftskandidaten mit Schmutzkampagnen, Tricks und Täuschungen gedient.

Stone erwartet gerade eine harte Gefängnisstrafe, weil er unter Eid nachweislich den Kongress über Trumps Russland-Kontakte belogen hat. Wie der Film zeigt, lässt sich der charmant-diabolische Selbstdarsteller wie sein Meister davon nicht beeindrucken. Wenn Roger Stone zusammen mit seinen Freunden von den Proud Boys – der rechtsextremen, rassistischen und gewaltbereiten Miliz, die Trump unterstützt mal wieder fein gekleidet an die Öffentlichkeit geht, sieht man ihm an, dass er jede Sekunde im Rampenlicht genießt. Stone ist ein Meister des Rollenspiels und liebt den vieldeutigen Einsatz von Sprache. Wenn ihm im Gespräch mit seinen Leuten mal eine rassistische oder gewaltverherrlichende Bemerkung rausrutscht, schiebt Stone meist nach: „Ist nur Spaß‟, „Ich bin gegen jede Gewalt‟ oder einfach: „Peacefully!‟

Nein, dies ist keine Reportage über die Trump-Kampagne 2024, und der Film bietet auch keine Informationen über das berüchtigte Project 2025, das Trump in einer neuen Amtszeit das Durchregieren ermöglichen soll. Die Dreharbeiten endeten schon 2021. Christoffer Guldbrandsen hat einen beobachtenden Dokumentarfilm gedreht, der manchmal spannend wie ein Thriller, manchmal komisch und böse wie eine scharfe Gesellschaftssatire die Schritte zu dem geplanten Staatsstreich vorführt. Der englische Originaltitel A Storm Foretold (Ein vorhergesagter Sturm) bringt das perfekt zum Ausdruck. Doch der Film ist mehr als ein politisches Tagebuch: Guldbrandsen inszeniert auch ein universelles Lehrstück über die Strategien der Menschen und Mächte, die sich nicht nur in den USA zum Ziel gesetzt haben, unsere Demokratie und ihre Institutionen abzuschaffen. Gleichzeitig zeichnet der Regisseur in der Montage das Porträt einer gefährlichen charismatischen Persönlichkeit.



Wie sagte Kennedy: „Wer friedlichen Fortschritt unmöglich macht, macht eine gewalttätige Revolution unausweichlich.‟

Roger Stone

während der TV-Berichterstattung über den Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021

So richtig still wird Stone im Film nur einmal – als der entfesselte MAGA-Mob live im Fernsehen das Capitol verwüstet. Stone weiß, dass seine Aktionen, Reden und Maßnahmen, die der Film dokumentiert, direkt zu diesem gewalttätigen Aufstand geführt haben. Während auf dem Bildschirm seine ‚Jungs‘, die Proud Boys und die Oath Keepers, gegen die Sicherheitskräfte kämpfen, packt Stone stumm seine Koffer, um mit seiner Frau möglichst schnell aus dem Hotel zu verschwinden.

Warum Roger Stone sich überhaupt auf das Projekt eingelassen hat, bleibt ebenso unklar wie sein Verhältnis zum Filmemacher. Guldbrandsen selbst bezeichnet es am Ende nur als „kompliziert‟.

Eine komplizierte Beziehung: Filmemacher Christoffer Guldbrandsen (links) und Roger Stone.

Unvermittelt hatte Stone eines Tages die Dreharbeiten gestoppt und sich ohne Angabe von Gründen für ein anderes Filmprojekt entschieden. Guldbrandsen reiste ab und starb dann daheim in Dänemark fast an einem Herzstillstand, im Film festgehalten durch die Überwachungskamera seines Fitnessstudios. Als er zurück in die USA kommt, um weiter zu drehen, wird er von Stone freundschaftlich mit einer Umarmung empfangen. Und dann sagt Stone, dass wohl er für den Kollaps des Regisseurs verantwortlich war. Am Ende lässt er Guldbrandsen sogar allein an seinen Computer, auf dem er gerade einen Bittbrief an Trump verfasst. Stone: „Lies das mal und sag, was du denkst… Aber lass die Hände von meinen Schubladen – okay?‟

Christoffer Guldbrandsen an Roger Stones Computer.

Natürlich wusste Stone von Anfang an, dass der Regisseur nicht seine Weltanschauung teilt. Am Anfang der Dreharbeiten fällt ihm auf, dass dessen Name sehr nach ‚Drittem Reich‘ klinge: „Kommandant Guldbrandsen, haben Sie die Liste der Juden dabei?‟ Später stellt Stone ihn einem Bekannten als „kommunistischen Filmemacher aus Dänemark“ vor, der sich seinen Film vom dänischen Staat finanzieren lasse. Während sein Kameramann (Frederik Marbell) ständig dem extrovertierten Haupt- und Selbstdarsteller auf den Fersen ist, sieht man den Regisseur im Film als unscheinbaren, meist schweigenden Begleiter immer nur ganz am Rand.



Roger Stone: Ich weiß, das muss ein aufregender Tag für dich sein.

Christoffer Guldbrandsen: Warum?

Roger Stone: Die Kommunisten übernehmen die Regierung, die amerikanische Verfassung ist aufgehoben, es gibt keine Redefreiheit, keine
Versammlungsfreiheit mehr.

Roger Stone

im Gespräch mit dem Filmemacher nach der Bestätigung des Wahlsiegs von Joe Biden

Christoffer Guldbrandsen hat sich in seiner mehr als 20-jährigen Arbeit als Dokumentarfilmer oft mit politischen Prozessen beschäftigt und hochrangige Politiker begleitet (in Dänemark und der EU). Unter anderem, wie er sagt, weil Beziehungen in der Politik „Karikaturen‟ normaler Beziehungen seien, „mit dem dominierenden Element von Zynismus und ausbeuterischem Verhalten‟. Faszinierend ist, dass unter diesen Bedingungen die ‚Freundschaftˋ zwischen Stone und Trump so lange gehalten hat, zwischen zwei in mancher Hinsicht ähnlichen Persönlichkeiten, denen es vor allem um ihre eigenen Interessen geht.



An der Oberfläche handelt der Film von Roger Stone, aber direkt darunter geht es um die Transformation der republikanischen Partei, die Veränderungen im amerikanischen System, der Demokratie und der Gesellschaft. Warum habe ich so viel Zeit mit einer Bewegung verbracht, die meiner Meinung nach teilweise antidemokratisch ist? Der Grund dafür: Mir ist es wichtig, den Dialog aufrechtzuerhalten und Leuten zuzuhören, zu denen ich in totalem Widerspruch stehe.

Christoffer Guldbrandsen

im Interview mit Neal Jones, YouTube-Kanal Without Your Head (Januar 2024)

Und dann erleben wir einen seltenen Moment der Wahrheit, als diese manchmal symbiotische Beziehung plötzlich krachend zu Ende geht. Bis zum letzten Moment, bis der abgewählte Präsident am Weißen Haus in den Hubschrauber steigt, hat Stone gehofft, dass Trump ihn noch begnadigen wird. Als er erkennt, dass sein Meister alle seine treuesten und unermüdlichsten Unterstützer verraten hat, brechen vor Guldbrandsens Kamera aus Stone die übelsten Beschimpfungen gegen Trump heraus. Die letzte Szene ist aus der Filmemacherperspektive‟, so der Regisseur, „eins der größten Geschenke, das die Götter des Filmemachens mir in meinem Leben gemacht haben.‟

Der Einflüsterer auf dem Weg zur Wahlparty. Die Nacht wird für ihn mit einer großen Enttäuschung enden: Trump verliert, Biden gewinnt.

Doch in der Geschichte dieser Beziehung, diesem „Buddy Movie‟ (Guldbrandsen), könnte ein weiteres Kapitel folgen: In einem aktuellen Artikel der New York Times über Elon Musk und seine Unterstützung von Verschwörungserzählungen auf X (12.10.2024) wird Roger Stone mit der Äußerung zitiert, Trumps mächtigster Sponsor sei „ein Krieger, der unsere Gebete verdient‟. Trotz aller Aufs und Abs in seinem Verhältnis zu Trump wittert der Einflüsterer vielleicht eine neue Chance. Nach dessen Wahlsieg könnte der große Polit-Demagoge und Intrigant Roger Stone mit seinen Talenten bei der Errichtung einer möglichen ‚Trumpaturˋ nun wieder eine passende Rolle übernehmen.

Achim Forst
Liebt Filme-Editieren und Fahrradfahren, Podcasts- und Musik-Hören und -Spielen. War 30 Jahre Redakteur der Filmredaktion 3sat des ZDF, Autor von TV-Dokumentationen, vorher freier Film- und Musikjournalist, Hörfunkautor und Programm-Mitarbeiter von Filmfestivals.

Bildnachweise

alle Abbildungen: © SWR (Screenshots aus Der Trump-Einflüsterer)

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Der Trump-Einflüsterer / A Storm Foretold: Official Trailer

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Interview mit Christoffer Guldbrandsen (YouTube-Kanal Without Your Head, Januar 2024)
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