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Rühr mich nicht an / Touch Me Not (Regie: Adina Pintilie), ausgezeichnet mit dem Goldenen Bären der Berliner Filmfestspiele 2014

Ein weißer Fleck verschwindet nicht

Anmerkungen zum Buch Klassiker des rumänischen Films

von Wolfgang J. Ruf

Lange Zeit wusste ich nicht, wie ich diese Rezension beginnen könnte. Dabei hatte ich sie doch so erfreut übernommen und erwartete ungeduldig, dieses Buch in Händen zu halten, das eine Darstellung der Filmlandschaft Rumänien und ihrer Geschichte versprach – die erste in deutscher Sprache. Doch schon beim ersten Blättern in diesem sechsten Band der Reihe Klassiker des osteuropäischen Films, die vom Brandenburgischen Zentrum für Medienwissenschaften, unterstützt vom Filmfestival Cottbus und dem Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa herausgegeben wird, beschlich mich ein ungutes Gefühl. Ein Buch über Film ganz ohne Abbildungen? Beim Kramen in meinen Bücherregalen stoße ich nur auf ein Filmbuch ohne jede Illustration, nämlich den 1.500 Seiten-Wälzer The Film Encyclopedia von Ephraim Katz. Selbst das dickleibige Buch mit Francois Truffauts Briefwechseln kommt nicht ganz ohne Abbildungen aus.

Wenn ein Buch den Rezensenten ratlos macht, kann er auch einfach mal daraus zitieren – wie hier aus Andrea Virginás‘ Essay über den Film Rühr mich nicht an /Touch Me Not von Adina Pintilie (*1980, nicht verwandt mit dem Regisseur Lucian Pintilie, 1933 – 2018), der 2018 bei der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde. Sie schreibt über den halbdokumentarischen Film, der Spielarten und Grenzen menschlicher Sexualität erkundet:

Die Erweiterung des Diegetischen und des Profilmischen auf das Afilmische hin, die Un-/Möglichkeit, die latente Maskierung einer in sich geschlossenen diegetischen Welt aufrechtzuerhalten, bilden das Axiom, auf dem in „Rühr mich nicht an!“ die Zweiheit von Dokumentation und Fiktion beruht und das auch das klassische Erzählen ermöglicht und das als Unterscheidung die Existenz von Mainstream und Arthouse-Kino erlaubt. Dieser Ansatz, filmische Regeln des Erzählens und der Konstruktion einer fiktionalen Welt im Film in verschiedener Hinsicht zu problematisieren und gar in Frage zu stellen, sind wichtige Gründe für den Berlinale-Erfolg, der diesen Pintilie-Film als Klassiker des zeitgenössischen Kinos ausweist. Doch lässt sich mit Blick auf „Rühr mich nicht an!“ mithin auch von einem Klassiker des (zeitgenössischen) rumänischen Kinos sprechen?

Das ist nur ein Absatz aus einem Essay von acht Seiten – doch möchte jemand so über Filme lesen?

Das mag ein krasses Beispiel sein. Es gibt hier allein schon wegen ihres Informationswerts auch zugänglichere Texte, etwa Robert Borns Ausflug in die Frühzeit des rumänischen Films, zum monumentalen Historienfilm Rumäniens Unabhängigkeit. Der rumänisch-russisch-türkische Krieg 1877/78 von Aristide Demetriade und Grigore Brezeanu aus dem Jahr 1912. Aber eine mitreißende Lektüre bietet dieses Buch insgesamt nicht. Auf seinem back cover liest man, dass es „zu cinéphilem Lesen“ einlade – was immer das auch sein mag, hier hab‘ ich es nicht herauszufinden vermocht. Denn es herrscht weithin der dröge Stil bemühter Seminar- und Diplomarbeiten. Übrigens kommt dieses Textgenre – selbst bei Arbeiten zu Film, Theater oder gar Bildender Kunst – ebenfalls oft ohne Illustrationen aus.

Editorische Merkwürdigkeiten

Diese ersten Eindrücke führen also geradewegs zum konzeptionellen Kern dieses Buchs und dessen Tücken: 25 Filme aus der Geschichte des rumänischen Films werden in einzelnen Essays von 25 Autoren vorgestellt, die alle Kultur-, meist Film- oder Medienwissenschaftler sind. Zu den editorischen Merkwürdigkeiten dieses Buchs gehört, dass es kein Namensregister gibt, zu den Regisseuren der porträtierten Filme keine biografischen und filmografischen Angaben, auch keine Credits zu ihren Filmen. Es gibt indes einen umfangreichen Nachweis zu den Autorinnen und Autoren, allerdings erfährt man nicht, wie alt sie sind und woher sie kommen, lediglich in welchen akademischen Zusammenhängen sie tätig sind und mit welchen Themen sie sich befassen.

Nichts spricht dagegen, dass viele der Verfasser aus Rumänien sind. Aber wenn es den Herausgebern darum ging, ein weitgehend unbekanntes Filmland einem breiteren deutschsprachigen Publikum näher zu bringen, hätte man sich doch darüber klar sein müssen, dass nicht nur der rumänische Film, sondern das Land Rumänien überhaupt und seine Geschichte selbst halbwegs Gebildeten hierzulande eine terra incognita ist. In vielen der Filmporträts wird aber drauflos geschrieben, als richte man sich an Leser, die die historischen Zusammenhänge kennen, die Hinweise entsprechend einordnen und Andeutungen selbstverständlich verstehen können.

Der Wald der Gehenkten (1964, Regie: Liviu Ciulei)

Ein Beispiel: Der tragische Kern in Liviu Ciuleis Film Der Wald der Gehenkten, 1964, ist jedem rumänischen Leser bewusst. Man weiß dort, dass große Teile des heutigen Rumäniens, vor allem Transsylvanien (Siebenbürgen), das Banat und die südliche Bukowina bis zum Ende des Ersten Weltkriegs zu Österreich-Ungarn gehörten – und deswegen Rumänen sich an der Front gegenüberstanden. Zudem ist der Autor des gleichnamigen Romans, nach dem der Film entstand, Liviu Rebreanu, ein Klassiker der rumänischen Literatur, der immer wieder die nationale Identität auslotete. Der Essay von Cosmin Borza benennt diesen Hintergrund eher nebenbei, setzt ihn sozusagen voraus. Ob die winzige Fußnote der Herausgeber zu diesem wichtigen und auch komplexen Aspekt das wettmacht, darf bezweifelt werden.

Das Beispiel zeigt auch, dass zu diesem Konzept unterschiedlichst geschriebener Filmporträts ein einführendes Kapitel zu historisch-politischen und künstlerischen Zusammenhängen unabdingbar gewesen wäre. Man sucht es aber vergebens. Auch die Reibung des rumänischen Filmschaffens an den agitatorischen Forderungen und zensorischen Eingriffen des real-sozialistischen Staats und seiner herrschenden Partei, dieses über vier Jahrzehnte währende Auf und Ab künstlerischer Freiheit, das doch eine zentrale Rolle spielte, wird in den einzelnen Essays zwar sporadisch angesprochen, aber für den weniger Kundigen dieser Verhältnisse ergibt sich kein verständliches Gesamtbild.

Neue Rumänische Welle auf internationalen Festivals: 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage (Regie: Cristian Mungiu) gewann 2007 in Cannes die Goldenen Palme…
…und 2013 wurde auch in Berlin erstmals ein rumänischer Film mit dem Hauptpreis ausgezeichnet: Goldener Bär für Mutter & Sohn (Regie: Călin Peter Netzer).

Zwei Neue Rumänische Wellen

Auch ich schrieb vor Jahren einen Bericht über den Neuaufbruch im rumänischen Film – allerdings schon vor mehr als fünfzig Jahren, in der Ausgabe 1/1971 der Zeitschrift Fernsehen und Film (nicht zu verwechseln mit der DDR-Zeitschrift Film und Fernsehen!). Bei manchen Berichten über die Neue Rumänische Welle seit den 1990er Jahren, die hier oft mit dem Kürzel NCR (Noul Cinema Românesc) benannt wird, hatte ich den Eindruck, dass die euphorischen Kritiker hierzulande glaubten, der Film als künstlerisches Ausdrucksmittel sei erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Rumänien entdeckt worden. Vielleicht spielte damals auch eine Rolle, dass die Berliner Filmfestspiele auf einmal mit neuen Filmen aus Rumänien leuchteten; die Filme des von mir erwähnten Aufbruchs des rumänischen Films Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre waren zwar auf internationalen Festivals zu sehen, vor allem in Cannes – selbst wenn sie zuhause an den Rand gedrückt oder gar verboten wurden. Aber eben nicht auf den Berliner Filmfestspielen, deren Boykott durch die Ostblock-Staaten erst Mitte der 1970er Jahre zu böckeln begann. Einige Filme jener, wenn man so will, ersten neuen Welle des rumänischen Films waren endlich 2002 bei der Berlinale zu sehen, in der Retrospektive European 60s. Revolte, Phantasie & Utopie, so auch Lucian Pintilies Die Rekonstruktion, der eigentlich zu deutsch Die Nachstellung heißen müsste, im Sinne von reenactment. Er ist der einzige Film jener Jahre, der in diesem Buch vorgestellt wird. Nur ganz am Rande fallen die Namen Mircea Veroiu und Dan Piţa, deren Film Die steinerne Hochzeit gewiss ein Klassiker des rumänischen Films ist – den so sehr auf Festivalpreise orientierten Herausgebern und Autoren sei nachgerufen, dass dieser Film 1973 in Cannes prämiert wurde.

Filmplakat zu Rekonstruktion (1968, Regie: Lucian Pintilie)

Streng stilisiert, dennoch berührend – zwei Geschichten über die Abwesenheit von Liebe: Plakat zu Die steinerne Hochzeit (1972, Regie: Mircea Veroiu, Dan Piţa)

Rumänische Regisseure im Exil

In seiner Einführung schreibt Stephan Krause zwar ausführlicher über Filme deutscher Regisseure von heute, die Geschichten aus Rumänien erzählen. Aber kein Wort findet er zu rumänischen Regisseuren, die ins Exil gingen. Da sollte schon die Rede sein von dem 1965 in Cannes für seinen schon erwähnten Film Der Wald der Gehenkten prämierten Liviu Ciulei, der nicht auch oder „eigentlich Theaterregisseur“ war, sondern in jener Zeit Rumäniens führender und international beachteter Theaterregisseur und Intendant der wichtigsten Schauspielbühne des Landes, des Teatru Lucia Sturdza Bulandra in Bukarest, damals vergleichbar mit den Münchner Kammerspielen, dem Piccolo Teatro in Mailand, dem Taganka-Theater in Moskau oder dem Stary Teatr in Krakau. Als ihn Ceauşescu und sein kulturfernes Regime aus dem Lande trieben, inszenierte er häufiger in der Bundesrepublik Deutschland und wurde dann auch Intendant am Guthrie-Theatre in Minneapolis, bevor er in den 1990er Jahren wieder an seinem Bukarester Theater arbeiten konnte.

Es ist doch auch aufschlussreich, dass der Regisseur Lucian Pintilie an Ciuleis Theater begonnen hat. Auch er ging ins Exil, drehte 1976 noch einen beeindruckenden Film in Jugoslawien, Krankenrevier Nr. 6 nach Anton P. Tschechows gleichnamiger Erzählung, und arbeitete dann vor allem an Pariser Bühnen. Zum Film kehrte er erst 1992 zurück, mit der rumänisch-französischen Koproduktion Le Chêne – Baum der Hoffnung, einer beklemmenden Studie gesellschaftlicher und menschlicher Verwahrlosung in der Endphase von Ceauşescus Diktatur – auch ein Klassiker des neueren rumänischen Films!

Beklemmende Studie der späten Ceausescu-Jahre: Le Chêne – Baum der Hoffnung von Lucian Pintilie

Nebenbei bemerkt: Es ist doch nicht sinnvoll, von wichtigeren Regisseuren mit einer auch besonderen, sogar stilbildenden Entwicklung nur jeweils einen Film vorzustellen. Da kollidiert die schematische Konzeption dieses Buchs heftig mit der realen Filmgeschichte.

Ein paar Worte zu Radu Gabrea…

Mehrfach habe ich gezögert, ob ich hier auch ein paar Worte zu Radu Gabrea (1937 – 2017) schreiben soll, der in diesem Buch überhaupt nicht erwähnt wird. Also, gleich vorab: Ich habe ihn 1970 kennengelernt, als ich seinen ersten Spielfilm Zu klein für einen so großen Krieg in Bukarest sah. Der Film erzählt von einem Jungen im Krieg und zwischen den wechselnden Fronten, sozusagen eine Paraphrase zu Andrei Tarkowskis Iwans Kindheit vor historisch komplizierterem Hintergrund, vielleicht deswegen auch weniger poetisch, stattdessen grotesker. Er wurde dann beim Festival in Cannes in der Quinzaine des réalisateurs gezeigt, erhielt einen Preis beim Festival in Locarno und wurde von mir auch zur Mannheimer Filmwoche vermittelt.

Radu Gabrea (1937 – 2017)

Als sein nächster Spielfilm Jenseits des Sandes, nach einem Roman von Fănuș Neagu, den man auch als fernes Echo auf die damaligen Jugendrevolten im Westen sehen kann, vom Diktator persönlich verboten wurde, kehrte er aus Cannes, wo er den Film 1974 nur in einer von der Zensur verstümmelten Version vorstellen konnte, nicht mehr zurück. Ich war dann seine erste Anlaufadresse in Deutschland, woher seine Mutter stammte und wo er nun als Filmemacher bestehen wollte. Das gelang ihm durchaus; er drehte immerhin sechs größere Filme hier, darunter 1984 mit Ein Mann wie E.V.A. wohl den ersten Queer-Film hierzulande, mit Eva Mattes als Regisseur, der eindeutig Rainer Werner Fassbinders alter ego ist, und 1986 den zweiteiligen Film Ein Unding der Liebe nach Ludwig Fels.

Jenseits des Sandes (1964) von Radu Gabrea: Plakat zur Aufführung der unzensierten
Fassung im Jahr 2018 in Bukarest
Ein Mann wie E.V.A. (1984) von Radu Gabrea: Eva Mattes spielt einen Regisseur, der die Züge von Rainer Werner Fassbinder trägt wohl der erste Queer-Film des bundesdeutschen Kinos.

Ab 1998 war Gabrea wieder in Bukarest tätig, zunächst als Präsident des Nationalen Filmbüros im rumänischen Kulturministerium, wo er eine Filmförderung nach deutsch-französischem Vorbild etablierte. Dann als Dozent an der Theater- und Film-Hochschule für Regie und Schnitt und vor allem auch wieder als Autor, Regisseur und Produzent. Er drehte eine Reihe von Spielfilmen zu Wirklichkeitsaspekten, die auf den ersten Blick nicht so wichtig schienen, aber viel mit der Aufarbeitung unterdrückter und verschwiegener Geschichte zu tun hatten, etwa mit Rumäniens Beteiligung an der Judenverfolgung in Grubers Reise nach Berichten von Curzio Malaparte oder mit dem Schicksal und der Identität der deutschsprachigen Minderheit in Siebenbürgen, Der geköpfte Hahn und Rote Handschuhe nach Romanen von Eginald Schlattner. Er drehte auch eine ganze Reihe von Dokumentarfilmen über jüdische Kultur in Rumänien, ihre Gefährdung und ihr Überleben. Bei einigen der Filme habe ich mitgearbeitet, vor allem als Autor. Hierzulande kam nur wenig von diesem Schaffen an – warum das so ist, wäre ein anderes Thema. Immerhin veranstaltete das Filmmuseum München vor vier Jahren eine größere Gabrea-Retrospektive, die ich zu kuratieren die Ehre hatte.

Man mag Gabreas Filme mehr oder weniger schätzen, aber zweifellos ist er eine Schlüsselfigur des Übergangs im rumänischen Film in den 1990er Jahren und spielte wohl auch eine anregende Rolle für die neuere rumänische Filmgeneration. Warum sein Schaffen und Wirken in einem Buch mit solchem Anspruch völlig ignoriert wird, ist unverständlich.

Wo man auch hinblickt in diesem Buch, stößt man auf Hinweise, die ins Leere laufen. „Die Auswahl der vorgestellten Filme beschreibt mehr als ein Jahrhundert rumänischer Filmkunst“, lese ich – aber die Hälfte des Buchs bezieht sich auf die Filme nach 1990. „Sie behandelt die 1940er Jahre“, heißt es weiter. Doch über diese Zeit des Umbruchs vom Königreich, dessen ‚Legionärs-Regierung‘ sich mit Hitler verbündet hatte, zur kommunistischen Volksrepublik, die unter Stalins Zugriff entstand, wird lediglich der Film Eine stürmische Nacht, die Verfilmung einer Komödie von Ion Luca Caragiale (1852-1912) durch Jean Georgescu aus dem Jahr 1943 vorgestellt. Ansonsten erfährt man nichts, obwohl sogar noch 1946 Filme fertiggestellt wurden und 1948 mit der Verstaatlichung der Filmproduktion und der Kinos ein ehrgeiziger Neubeginn unternommen wurde. Es erfolgte die Gründung einer Filmhochschule in Bukarest und von Ausbildungsstätten für filmtechnische Berufe.

Völlig übersehen: die Filmstudios in Buftea

Von besonderer Bedeutung war der Aufbau eines großzügig angelegten Filmstudios in Buftea, nicht weit von Bukarest, das innerhalb einiger Jahre zu einem der größten im Ostblock wurde. Auch Produzenten aus dem Westen realisierten hier aufwendige Projekte: etwa Robert Siodmaks zweiteiligen Monumentalfilm Kampf um Rom nach Felix Dahns Roman, 1968, die deutsche Mark Twain-Verfilmung Tom Sawyers und Huckleberry Finns Abenteuer in der Regie von Wolfgang Liebeneiner, 1968, oder Der Seewolf nach Jack London, Regie: Wolfgang Staudte, 1971.

Ein rumänisches Hollywood: Das 1950 gegründete Filmstudio in Buftea wird bis heute für große internationale Produktionen genutzt.

Kein Wunder, dass dieses Studio mit seinem professionellen Personal in einem Land mit allen erdenklichen Drehorten, vom Hochgebirge über historische Städte und Dorflandschaften bis zum Donaudelta, auch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs weiter bestehen konnte; inzwischen etablierte sich noch ein weiteres groß dimensioniertes Studio bei Bukarest. Auch in neuerer Zeit entstanden hier Filme namhafter Regisseure, etwa Anthony Minghellas US-Bürgerkriegs-Epos Cold Mountain, USA 2003, oder Costa-Gavras‘ Amen nach Rolf Hochhuths Stück Der Stellvertreter, 2002. Zuletzt drehte der eigenwillige Tim Burton seine Serie Wednesday, ein spin off der Addams Family, in den Buftea-Studios und in Rumänien, wo es, wie Burton sagt, durchaus gelang, authentische Eindrücke von Vermont zu entdecken beziehungsweise zu schaffen. Es versteht sich, dass eine derart international wirksame Filmproduktion über Jahrzehnte, schon vor und auch nach der Wende, ein Faktor ist, der zur Entwicklung des rumänischen Films viel beigetragen hat. Völlig übersehen hätte dieser Aspekt doch wohl nicht bleiben sollen.

Ein Filmland verschwindet

Genug, der Rezensent kann nicht das liefern, was dieses insgesamt doch enttäuschende Buch zu bieten versäumt. Die Herausgeber mögen sich ernsthaft bemüht haben, einen weißen Fleck auf der cineastischen Karte Europas zu erkunden und zugänglich zu machen. Doch der weniger kundige Leser sieht sich mit einem Gespinst unterschiedlichster Versuche, ihm überwiegend unbekannte Filme zu erklären, konfrontiert. Das Filmland Rumänien verschwindet hinter all den disparaten Beschreibungen, den wuchernden Thesen, den nur fragmentarisch zu erkennenden Zusammenhängen und den medientheoretischen Klimmzügen. Der weiße Fleck indes verschwindet nicht, auch wenn er so weniger sichtbar scheint. Als mit dem Thema einigermaßen Vertrauter stoße ich auf zu viele Mängel, Ungereimtheiten und Lücken.

Auf der Aufschlagseite des Buchs heißt es unter dem Titel „Klassiker der osteuropäischen Films – Band 6“. Dieser kleine Fehler an auffälliger Stelle mag bezeichnend sein.

Dana Duma (Hg.), Stephan Krause (Hg.), Anke Pfeifer (Hg.)

Klassiker des rumänischen Films

(Klassiker des osteuropäischen Films, Bd. 6)

Marburg: Schüren Verlag, 2024
228 Seiten
Buch 18,– € / E-Book 14,99 €

Wolfgang J. Ruf
(* 1943 in München) ist Autor, Publizist und Dozent. Sein Themenspektrum umfasst Kulturpolitik, Theater, Film, Medien, Literatur, Geschichte, Politik und Zeitgeschichte. Er war von 1985 bis 1995 Chefredakteur der Zeitschrift Die Deutsche Bühne und Pressereferent des Deutschen Bühnenvereins, danach u. a. Chefdramaturg am Badischen Staatstheater in Karlsruhe. Von 1975 bis 1985 leitete er die internationalen Westdeutschen Kurzfilmtage in Oberhausen.

Bildnachweise

Rühr mich nicht an / Touch Me Not: © Alamode Film
Der Wald der Gehenkten : © Filmarchiv Austria
4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage: © Concorde Filmverleih
Mutter & Sohn: © X Film
Radu Gabrea: © Central European Film Festival
Filmstudio in Buftea: © Studiourile Buftea 
Porträtfoto Wolfgang J. Ruf: © James Ulmer
alle anderen Abbildungen: unbekannt / Public Domain

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