
Kreatives Matriarchat
Persönliches zum 25. Geburtstag von goEast
von Achim Forst
goEast, das Wiesbadener Festival des mittel- und osteuropäischen Films, ist 25 Jahre alt geworden. Das ist nicht zuletzt einer Reihe von starken Frauen zu verdanken.
Nein, das Osteuropa-Filmfestival goEast war als Projekt kein Selbstläufer – und ist es wohl auch heute noch nicht –, auch wenn damals, Ende der 1990er Jahre, das Interesse an Osteuropa recht hoch war, vor allem wegen der bevorstehenden Osterweiterung der Europäischen Union. Aber ebenso wie heute liefen nur ganz selten osteuropäische Filme in den deutschen Kinos, und in den öffentlich-rechtlichen TV-Redaktionen wurden sie mit Misstrauen betrachtet, weil mit Kino aus dem Osten keine zufriedenstellenden Einschaltquoten zu erzielen waren.
Außerdem war schon zehn Jahre vorher in Cottbus ein Filmfestival gegründet worden, das ganz dem osteuropäischen Kino gewidmet war und sich bereits hervorragend im internationalen Festival-Zirkus etabliert hatte.
Die Gründerin
Der Grund, warum es trotzdem zur Gründung von goEast kam und das Festival jetzt seinen 25. Geburtstag feiern konnte, heißt Claudia Dillmann. Mit großem kulturpolitischem Geschick, einer guten Vernetzung in der regionalen Politik und im Kulturbetrieb, verbunden mit Beharrlichkeit und Durchsetzungsvermögen und – wenn nötig – stahlhartem Charme machte die Chefin des Frankfurter Filminstituts und Filmmuseums (damals DIF, heute DFF) das Unwahrscheinliche möglich. Ihr Engagement und ihre Energie erinnern an den großen Kulturpolitiker Hilmar Hoffmann. Von ihm hat Claudia Dillmann offenbar viel gelernt. Der (unter vielem anderem) Gründer der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen und Initiator des Frankfurter Museumsufers mochte das goEast-Projekt und ließ sich von Claudia Dillmann als Gründungs-Schirmherr gewinnen.

Wegen des Wettbewerb-Programms von goEast ist wohl nie jemand extra in die hessische Landeshauptstadt gereist. Die großen Filme aus Osteuropa sichern sich in Europa traditionell die A-Festivals in Cannes, Venedig und Berlin. Spezialfestivals wie Wiesbaden und Cottbus können da in der Regel nur nachspielen. Das erklärt einiges, aber in manchen Jahren war die Qualität der goEast-Wettbewerbe wirklich schlecht. Ob das an der Auswahl oder am Filmangebot des jeweiligen Jahrgangs lag – unmöglich, das zu entscheiden. Sicher aber ist, dass, allen strukturellen oder sonstigen Handicaps zum Trotz, in Wiesbaden über die Jahre hinweg auch eine bemerkenswerte Zahl von cineastischen Perlen zu entdecken war: Filme, die inzwischen ihren Platz in der Filmgeschichte gefunden haben oder ihn noch finden werden.
Mehr als ein Showcase
Doch goEast war von Anfang an – das konnte ich als teilnehmender Beobachter mitverfolgen – viel mehr als ein Showcase des aktuellen Kinos aus Mittel- und Osteuropa. Fest in die Festival-DNA eingeschrieben ist durch die Gründerin und das Filminstitut als Veranstalter natürlich der besondere Fokus auf Filmgeschichte und Filmerbe. In Sonderreihen wurde immer wieder an das Schaffen einzelner Meister und Meisterinnen aus Osteuropa erinnert, in Workshops über filmhistorische und -ästhetische Themen diskutiert, viele Jahre mit dem Filmwissenschaftler Hans-Joachim Schlegel als Kurator.

Ein anderer fester Bestandteil von goEast – von Anfang an engagiert und zuverlässig betreut von Andrea Wink, der Mitgründerin des exground filmfest in Wiesbaden – ist die Nachwuchsförderung und -Vernetzung zwischen Ost und West, heute repräsentiert durch den RheinMain Kurzfilmpreis und die Pitching-Veranstaltung des East-West Talent Lab. Manche der dort entdeckten Talente und Projekte schafften es ein paar Jahre später ins goEast-Programm.

Widerständige Filme
Eine weitere Konstante bei goEast ist das Engagement für marginalisierte und verfolgte Gruppen und Völker im Osten. Dafür betrieb das Festival keine herkömmliche ‚Kulturgutpflege‘, sondern zeigte oft außergewöhnliche, sperrige, widerständige Dokumentarfilme, die bewusst – politisch wie ästhetisch – aus marginalen Positionen heraus argumentierten. Und auch das ist ein Merkmal von goEast: nicht das bequem Naheliegende zu präsentieren, also den leichtesten Weg zum Publikum zu gehen, sondern das Experimentelle, formal Gewagte ins Schaufenster zu stellen. Weil dafür auch bei großzügiger Programmierung der Wettbewerb des Festivals nicht der richtige Ort war, wurde schon bald eine Sonderreihe für schwierige und anspruchsvolle Formate eingerichtet.

Partner 3sat
Immer auf der Suche nach zuverlässigen Partnern, hatte Claudia Dillmann schon vor dem Start von goEast den Direktor der europäischen Satellitenprogramme im ZDF (ARTE und 3sat) davon überzeugt, dass eine Zusammenarbeit mit dem neuen Festival in beiderseitigem Interesse sei. So durfte ich als ZDF-Filmredakteur mich kurz darauf um die neue, zuerst inoffizielle Medienpartnerschaft kümmern. Ihr zentrales Element: Seit der Gründung von goEast zeigt 3sat parallel zum Festival einen der Preisträger des Vorjahres als deutsche Erstausstrahlung.

Die starken Frauen von goEast
Während sie sich als DIF-Chefin im Hintergrund um Sponsoren und Unterstützer kümmerte, vertraute Claudia Dillmann das Programm des neuen Festivals einer Mitarbeiterin an, die im Osten gut vernetzt und zudem sprachkompetent war: der russischsprachigen Litauerin Swetlana Sikora. So begann die Folge von goEast-Leiterinnen, die bis heute ungebrochen ist.
Alle diese starken Frauen – nach Swetlana waren das vor allem Christine Kopf, Gabi Babic und bis 2025 Heleen Gerritsen – haben das Festival auf unterschiedliche Weise geprägt. (Nadja Rademacher, Leiterin zweier Festivalausgaben, mit der und die mit goEast nicht glücklich wurde, möchte ich trotzdem einschließen.)

So unterschiedlich ihre Persönlichkeiten waren und sind und so unterschiedlich die Projekte, die sie realisiert haben – diese Festivalleiterinnen hatten neben ihren kommunikativen Fähigkeiten und ihrer Fachkompetenz noch viel mehr gemeinsam. Sie haben verstanden, dass goEast nicht nur ein cineastisches, sondern auch ein kultur- und gesellschaftspolitisches Projekt ist: eines, das nicht nur zwischen einem deutschen Publikum und der Filmkunst Osteuropas Brücken bauen will, sondern auch zwischen den Filmprofis in West- und Osteuropa. Und sie haben verstanden, dass ein ‚Auf-Nummer-Sicher-Gehen‘ für das Festival ein Rückschritt wäre. Konsequent haben sie daher bis an die finanziellen Grenzen ihrer Budgets und auch die der physischen Belastbarkeit (der eigenen und der MitarbeiterInnen) ihre Kraft in neue Ideen, neue Formate und neue Events investiert.
Auch wenn dabei natürlich nicht alles gelingen konnte: Die Besucherinnen und Besucher von goEast können jedes Jahr sicher sein, dass sie in Wiesbaden ein liebevoll und sorgfältig komponiertes Programm erleben, mindestens einige neue Denkanstöße, Erkenntnisse und Seherfahrungen mitnehmen und auch neue interessante Menschen kennenlernen werden.

Eine neue goEast-Chefin
Nach acht erfolgreichen Jahren verlässt nun die Niederländerin Heleen Gerritsen das Festival und übergibt die Leitung an Rebecca Heiler, die früher schon für goEast gearbeitet hat. Zur 25. Ausgabe unterbrach Claudia Dillmann ihren kreativen Ruhestand und kam zum Feiern nach Wiesbaden. Dort verbrachte sie viel Zeit mit der früheren goEast Leiterin Christine Kopf, die inzwischen Leiterin des DFF geworden ist. In dieser Funktion wird Christine Kopf auch weiter mit Heleen Gerritsen zusammenarbeiten, die zum 1. Juni 2025 als neue Künstlerische Leiterin der Deutschen Kinemathek nach Berlin wechselt.
Am Schluss noch ganz persönlich: Ein so kreatives und produktives Filmkultur-Matriarchat kann ich als Mann nur begrüßen. – Alles Gute für die nächsten 25 Jahre, goEast !
goEast 2025: die Preisträger




Bildnachweise
Saxophon Suzy: © goEast/DFF
Internationaler Filmnachwuchs beim East-West Talent Lab: © Achim Forst / Gespenster der Freiheit
alle anderen Abbildungen: © goEast

goEast 2025: alle Gewinnerinnen und Gewinner des diesjährigen Jubiläums-Festivals und die Begründungen der Jurys