| |
Pro-Winzkino Simmern

Traumpaläste, Welt-Theater

Wunderschön: Der Bildband CINEMA PROVINZIALE aus dem Schüren Verlag entdeckt und porträtiert Lichtspielhäuser in deutschen Dörfern und Kleinstädten. Regionale Kino-Kultur zum Träumen und Staunen.

Im Kino haben Filme ihren Ort; er fügt ihnen etwas hinzu, was sie ohne ihn nicht haben und nie haben werden, Charakter. Ohne Kino sind Filme charakterlos und unwirklich, weil es keine Dunkelheit mehr gibt, in die sie dann ihr Licht bringen, und weil sie ohne Kino wie Irrlichter sind, die über Fernsehbildschirme huschen.

Anne Paech

Was ist Kino und wo schlägt sein Herz? Wer das rausfinden will, der tut vielleicht gut daran, wenn er oder sie nicht in die Zentren geht, in die Großstädte und ihre urbanen Milieus, sondern sich ins Regionale begibt, in die eher entlegenen Gegenden, die abseits der Macht- und Kulturzentralen liegen, in die Landstriche und Lebenswelten, die nicht unbedingt im Brennpunkt des Weltgeschehens stehen und von denen behauptet wird, dass Zeitgeist und Fortschritt dort erst mit einer gewissen Verspätung und dann auch nur in abgeschwächter Form anlangen. Die Ordnungspolitik spricht gerne auch von ‚strukturschwachen Gebieten‘ oder, reichlich uncharmant, von ‚Restgrößen‘ zwischen den Verdichtungsräumen. Und die Leute aus der Stadt haben für diese backward regions seit jeher ein Etikett, das, selbst wenn es vielleicht nicht so gemeint ist, immer auch ein bisschen despektierlich rüberkommt: Provinz.

Was, wenn der Herzschlag des Kinos ausgerechnet dort am deutlichsten vernehmbar wäre?

Die Fotografin Katrin Schneider hat sich genau dahin begeben, ist mit ihrer Kamera auf Deutschland-Tour gegangen und hat mehr als 70 Kinos in Dörfern, kleinen und mittleren Städten von außen und von innen abgelichtet. Was sie von ihrem Roadtrip mitgebracht hat, ist grandios: über 300 kunstvolle Farbfotografien und ein wunderschöner Bildband namens CINEMA PROVINZIALE.

Apollo Cochem von außen…
… und innen
Rex-Palast Dreieich von außen…
… und innen
Eifel-Film-Bühne Hillesheim von außen…
… und innen

Katrin Schneider „setzt in diesem Buch den verzauberten Orten, in denen viele Menschen prägende Erfahrungen machen, ein Denkmal“, schreibt Andreas Dresen in seinem Vorwort. „Sie sind Heimat der Fantasie, oft wunderschöne Hüllen und dafür geschaffen, im Dunkel zu versinken und ihre Besucher nach Anderswo zu entführen. Filme können nicht die Welt verändern, aber die Menschen, die sie sehen. Kinos sind Orte, die vom Glauben an diese Utopie erzählen, man spürt es beim Betrachten der Bilder in diesem Buch.“

JAC Kino Attendorn

Die Filmburgen, Schauburgen und Lichtburgen, die Traumpaläste, die Casablancas, Scalas und Astorias (es ist sogar ein Welt-Theater darunter!) abseits der Metropolen bekommen hier die Aufmerksamkeit und Zuwendung, die sie verdienen: als Zeugen und Akteure einer höchst lebendigen Kulturgeschichte. Das Buch bereitet ihnen, die sonst hinter ihrer dienenden Funktion verschwinden, sobald im Saal das Licht ausgeht, eine glanzvolle Bühne, ohne dass irgendein Filmspektakel störend dazwischenfunkt. So können sie sich diesmal selbst präsentieren, als die eigentlichen Stars, die wahre Sensation: in ihrer Vielfalt und Schönheit und mit einem ganz eigentümlichen Stolz, wie er vielleicht nur in den Gegenden anzutreffend ist, die man Provinz nennt.

Man spürt den Herzschlag. Man gerät ins Träumen. Und man kommt aus dem Staunen nicht heraus.

Haben wir nicht zufällig gerade Dezember? Also: Geschenkpapier drumherum und unter den Baum damit!

Manfred Etten

(Das Zitat von Anne Paech stammt aus ihrem vor 40 Jahren erschienenen Buch Kino zwischen Stadt und LandGeschichte des Kinos in der Provinz: Osnabrück.)

Katrin Schneider
CINEMA PROVINZIALE
Lichtspieltheater in der Provinz

mit einem Vorwort von Andreas Dresen

Marburg: Schüren Verlag, 2024
312 Seiten, 245 x 200 mm, über 300 farbige Abbildungen
34,– €

Bildnachweise

alle Abbildungen: © Schüren Verlag / Katrin Schneider

mehr zum Thema

weitere Beiträge