Web-Profil: Infos und Links
https://www.ifs.uni-frankfurt.de
Panikfrei und klar im Kopf
Die Webseite des Frankfurter Instituts für Sozialforschung
Die Klischees sind bekannt und scheinbar unverwüstlich: Kritische Theorie, Frankfurter Schule – das kommt von früher her, aus der abendländischen Schriftkultur, aus der Ära des Füllfederhalters und der auf Papier gedruckten Folianten, aus dem Reich der fünfundzwanzigbändigen Gesamtausgaben und der endlosen Schriftenreihen, aus den Tiefen der Gutenberg-Galaxis. Und ist in punkto Publikumsansprache nicht unbedingt konsumfreundlich, sondern eher streng, trocken, asketisch, ernst, irgendwie freudlos, allem Zierrat abhold, Konzentration auf das Wesentliche ohne unnötige Ablenkungen, kondensierte Substanz ohne Firlefanz drumherum. Motto: Was zählt, steht im Text und geschieht im Kopf, sonst nirgends.
für Eilige: Sechs Fakten über das Institut für Sozialforschung (Hessischer Rundfunk, 2023)
Ausführliches zur Geschichte des IfS (Goethe-Universität Frankfurt am Main )
Wie mag, den Klischeevorstellungen gemäß, wohl die Website des Frankfurter Instituts für Sozialforschung (IfS) aussehen? Vermutlich genauso. Jede Menge Buchstaben, spartanisches Design. Bedrucktes Papier in Pixelform. Viel für den Kopf, wenig fürs Auge. Wir klicken auf die Startseite und sehen: tatsächlich, so ist es. Jedenfalls auf den ersten Blick.
Besuchen Sie uns – sei es vor Ort oder auf der vollkommen neu gestalteten Webseite des Instituts.
Die aktuelle IfS-Website ist seit März 2022 im Netz und wurde im Hinblick auf den 100. Geburtstag des Instituts, der von Februar 2023 bis Juni 2024 begangen wird, eigens neugestaltet. Man darf annehmen, dass das neue Erscheinungsbild auch Programmatisches zum Konzept und Image des IfS verkünden möchte, zumal unter seinem neuen Direktor Stephan Lessenich.
Dreierlei fällt auf:
Clear Desk Policy
Das Web-Design macht einen extrem aufgeräumten Eindruck. Übersichtliche Konstruktion, einfache Grundfiguren, rechteckiges Raster, symmetrische Ordnung, klare Kanten, alles sehr cool und kontrolliert. Vorbild war offensichtlich die Fassade des Bauhaus-inspirierten Institutsgebäudes von 1950, das in stilisierter Form auch als Blickfang für die Startseite dient. Sicher nicht zufällig finden die sechs Primärkategorien in der Hauptmenü-Zeile (Institut, Personen, Forschung, Publikationen, Veranstaltungen, Kooperationen) ihre Entsprechung in den sechs Fenstern im zweiten Obergeschoss des Hauses. Die betonte Sachlichkeit der Präsentation scheint uns sagen zu wollen: Auch was hinter der Fassade vorgeht, ist genauso ordentlich sortiert wie die Fassade selber. Die Insassen dieser Denkfabrik sind genauso klar im Kopf wie die Webseiten in ihrem Design und betreiben gedanklich wie arbeitstechnisch eine Clear Desk Policy.
Vornehme Zurückhaltung
Zweitens fällt der Farbcode ins Auge: Es gibt nämlich keinen. Die Seite präsentiert sich in hartem Schwarzweiß bzw. in konsequent textlastigem Schwarz-auf-Weiß. Erst auf den zweiten Blick oder wenn man ein bisschen in die Tiefe geht, entdeckt man sparsam eingesetzte Farb-Akzente: So erscheinen in der Gebäudefassade gelb erleuchtete Fensterchen im zweiten Stock, je nachdem, welcher Beitrag im Slider auf der Startseite annonciert wird. Und die Schwarzweißporträts im Menüpunkt Personen verwandeln sich beim Hovern mit dem Cursor allmählich in Farbfotos. Diese verstohlenen Verspieltheiten haben natürlich Signalfunktion. Die Botschaft lautet: Auch wir vom IfS könnten, wenn wir wollten, ausgelassen farbenfroh sein wie so viele andere, die ihre Webseite wie einen Blumenladen dekorieren, aber wir nehmen aus guten Gründen davon Abstand. Hier passt der Begriff ‚vornehme Zurückhaltung‘ ganz gut.
Medienkonkurrenz
Drittens und damit verbunden: äußerste Sparsamkeit bei der Verwendung von Bildern. Abbildungen, Fotos, visuelle Elemente werden anscheinend systematisch gemieden und allenfalls geduldet in Fällen, wo es anders nicht geht. Fast möchte man an das mosaische Bilderverbot denken, das ja bekanntlich für Max Horkheimer und Theodor W. Adorno eine zentrale Rolle in ihrem Denken gespielt hat. Ausnahmen von der Regel findet man beim Durchklicken (in der Sektion 100 Jahre IfS oder ausgelagert in die Social-Media-Kanäle, mehr dazu weiter unten), aber die Regel dominiert doch die Gesamtanmutung.
Auch dies ein klares Signal: Was geschrieben steht, steht für sich und bedarf im Prinzip keiner Illustration. Vielleicht kann man aus dieser Message auch ein Statement zum Thema ‚Medienkonkurrenz‘ herauslesen, so als wollte das IfS uns sagen: Natürlich wissen wir, dass unsere Schriftkultur von der postmodernen Bilderflut umspült und bedrängt wird, aber wir sind angesichts der globalen Überschwemmung vollkommen panikfrei, selbstbewusst und souverän – so souverän, dass wir es uns sogar leisten können, augenzwinkernd die Flut durch kleine Schleusen in unser Buchstaben-Heiligtum hereinzulassen. So gesehen, steckt in diesem Web-Design auch ein bemerkenswertes Stück Selbstironie.
Insgesamt präsentiert die Webseite ihre Inhalte in einer ausgeprägten form-follows-function-Ästhetik und im no-nonsense-Stil klassischer bürgerlicher Aufklärung. Dabei schaffen ihre Aufgeräumtheit und ihre gestalterische Disziplin ein vielsagendes Gegengewicht zur Welt-Unordnung und zum Krisen-Chaos unserer Tage. So vermittelt die Webseite nicht nur Informationen, sondern auch Zuversicht: Eine vernünftige Ordnung ist nötig und möglich, auch und gerade dann, wenn es in der Welt drunter und drüber geht.
Die kritische Theorie erklärt: es muss nicht so sein, die Menschen können das Sein ändern, die Umstände dafür sind jetzt vorhanden.
Manfred Etten