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Web-Profil: Infos und Links

https://www.ifs.uni-frankfurt.de

Panikfrei und klar im Kopf

Die Webseite des Frankfurter Instituts für Sozialforschung

Die Klischees sind bekannt und scheinbar unverwüstlich: Kritische Theorie, Frankfurter Schule – das kommt von früher her, aus der abendländischen Schriftkultur, aus der Ära des Füllfederhalters und der auf Papier gedruckten Folianten, aus dem Reich der fünfundzwanzigbändigen Gesamtausgaben und der endlosen Schriftenreihen, aus den Tiefen der Gutenberg-Galaxis. Und ist in punkto Publikumsansprache nicht unbedingt konsumfreundlich, sondern eher streng, trocken, asketisch, ernst, irgendwie freudlos, allem Zierrat abhold, Konzentration auf das Wesentliche ohne unnötige Ablenkungen, kondensierte Substanz ohne Firlefanz drumherum. Motto: Was zählt, steht im Text und geschieht im Kopf, sonst nirgends.

für Eilige: Sechs Fakten über das Institut für Sozialforschung (Hessischer Rundfunk, 2023)

Ausführliches zur Geschichte des IfS (Goethe-Universität Frankfurt am Main )

Wie mag, den Klischeevorstellungen gemäß, wohl die Website des Frankfurter Instituts für Sozialforschung (IfS) aussehen? Vermutlich genauso. Jede Menge Buchstaben, spartanisches Design. Bedrucktes Papier in Pixelform. Viel für den Kopf, wenig fürs Auge. Wir klicken auf die Startseite und sehen: tatsächlich, so ist es. Jedenfalls auf den ersten Blick.

Besuchen Sie uns – sei es vor Ort oder auf der vollkommen neu gestalteten Webseite des Instituts.


Stephan Lessenich

seit Juli 2021 Direktor des Instituts für Sozialforschung

Die aktuelle IfS-Website ist seit März 2022 im Netz und wurde im Hinblick auf den 100. Geburtstag des Instituts, der von Februar 2023 bis Juni 2024 begangen wird, eigens neugestaltet. Man darf annehmen, dass das neue Erscheinungsbild auch Programmatisches zum Konzept und Image des IfS verkünden möchte, zumal unter seinem neuen Direktor Stephan Lessenich.

Dreierlei fällt auf:

Clear Desk Policy

Das Web-Design macht einen extrem aufgeräumten Eindruck. Übersichtliche Konstruktion, einfache Grundfiguren, rechteckiges Raster, symmetrische Ordnung, klare Kanten, alles sehr cool und kontrolliert. Vorbild war offensichtlich die Fassade des Bauhaus-inspirierten Institutsgebäudes von 1950, das in stilisierter Form auch als Blickfang für die Startseite dient. Sicher nicht zufällig finden die sechs Primärkategorien in der Hauptmenü-Zeile (Institut, Personen, Forschung, Publikationen, Veranstaltungen, Kooperationen) ihre Entsprechung in den sechs Fenstern im zweiten Obergeschoss des Hauses. Die betonte Sachlichkeit der Präsentation scheint uns sagen zu wollen: Auch was hinter der Fassade vorgeht, ist genauso ordentlich sortiert wie die Fassade selber. Die Insassen dieser Denkfabrik sind genauso klar im Kopf wie die Webseiten in ihrem Design und betreiben gedanklich wie arbeitstechnisch eine Clear Desk Policy.

Vornehme Zurückhaltung

Zweitens fällt der Farbcode ins Auge: Es gibt nämlich keinen. Die Seite präsentiert sich in hartem Schwarzweiß bzw. in konsequent textlastigem Schwarz-auf-Weiß. Erst auf den zweiten Blick oder wenn man ein bisschen in die Tiefe geht, entdeckt man sparsam eingesetzte Farb-Akzente: So erscheinen in der Gebäudefassade gelb erleuchtete Fensterchen im zweiten Stock, je nachdem, welcher Beitrag im Slider auf der Startseite annonciert wird. Und die Schwarzweißporträts im Menüpunkt Personen verwandeln sich beim Hovern mit dem Cursor allmählich in Farbfotos. Diese verstohlenen Verspieltheiten haben natürlich Signalfunktion. Die Botschaft lautet: Auch wir vom IfS könnten, wenn wir wollten, ausgelassen farbenfroh sein wie so viele andere, die ihre Webseite wie einen Blumenladen dekorieren, aber wir nehmen aus guten Gründen davon Abstand. Hier passt der Begriff ‚vornehme Zurückhaltung‘ ganz gut.

Medienkonkurrenz

Drittens und damit verbunden: äußerste Sparsamkeit bei der Verwendung von Bildern. Abbildungen, Fotos, visuelle Elemente werden anscheinend systematisch gemieden und allenfalls geduldet in Fällen, wo es anders nicht geht. Fast möchte man an das mosaische Bilderverbot denken, das ja bekanntlich für Max Horkheimer und Theodor W. Adorno eine zentrale Rolle in ihrem Denken gespielt hat. Ausnahmen von der Regel findet man beim Durchklicken (in der Sektion 100 Jahre IfS oder ausgelagert in die Social-Media-Kanäle, mehr dazu weiter unten), aber die Regel dominiert doch die Gesamtanmutung.

Auch dies ein klares Signal: Was geschrieben steht, steht für sich und bedarf im Prinzip keiner Illustration. Vielleicht kann man aus dieser Message auch ein Statement zum Thema ‚Medienkonkurrenz‘ herauslesen, so als wollte das IfS uns sagen: Natürlich wissen wir, dass unsere Schriftkultur von der postmodernen Bilderflut umspült und bedrängt wird, aber wir sind angesichts der globalen Überschwemmung vollkommen panikfrei, selbstbewusst und souverän – so souverän, dass wir es uns sogar leisten können, augenzwinkernd die Flut durch kleine Schleusen in unser Buchstaben-Heiligtum hereinzulassen. So gesehen, steckt in diesem Web-Design auch ein bemerkenswertes Stück Selbstironie.

Insgesamt präsentiert die Webseite ihre Inhalte in einer ausgeprägten form-follows-function-Ästhetik und im no-nonsense-Stil klassischer bürgerlicher Aufklärung. Dabei schaffen ihre Aufgeräumtheit und ihre gestalterische Disziplin ein vielsagendes Gegengewicht zur Welt-Unordnung und zum Krisen-Chaos unserer Tage. So vermittelt die Webseite nicht nur Informationen, sondern auch Zuversicht: Eine vernünftige Ordnung ist nötig und möglich, auch und gerade dann, wenn es in der Welt drunter und drüber geht.     

Die kritische Theorie erklärt: es muss nicht so sein, die Menschen können das Sein ändern, die Umstände dafür sind jetzt vorhanden.


Max Horkheimer

Motto auf der Website des Instituts für Sozialforschung

aus den Angeboten der IfS-Website: Infos & Tipps

Schlaglichter auf 100 Jahre IfS: ein schönes Zusatzangebot aus gegebenem Anlass, informativ und unterhaltsam. Das IfS gibt sich hier nahbar, humorvoll und netzaffin. Die Sektion bietet Texte, Fotos, digitalisierte Dokumente, Videos, Tonaufnahmen und Podcasts aus der Geschichte des Instituts und wird bis Juni 2024 kontinuierlich ergänzt. Eine komplette Chronik ist nicht beabsichtigt, sondern es geht darum, „die verschiedensten Facetten der Haushistorie zur Geltung zu bringen: das Gebäude selbst und die Menschen in ihm und um es herum, große Ereignisse und vermeintliche Petitessen, Tragisches ebenso wie Komisches.“ (IfS) Tipp: Schlaglicht 10, Unsichtbare Arbeit – Sekretärinnen am Institut für Sozialforschung.

Das seit 2004 vom Institut herausgegebene Periodikum WestEnd ist die Nachfolgerin der legendären Zeitschrift für Sozialforschung (1932 – 1941), dem damaligen Zentralorgan der Frankfurter Schule. WestEnd sieht sich in dieser Tradition und publiziert „Aufsätze und Essays aus unterschiedlichen Disziplinen, die in ihrer Gesamtheit zu einer umfassenden Analyse der aktuellen gesellschaftlichen Lage beitragen und Perspektiven emanzipatorischer Umgestaltung aufweisen.“ (IfS) Auf der Webseite finden wir aber nur die Publikationsliste, keine Volltexte. Allenfalls (derzeit ab Jahrgang 2014) sind die einleitenden Artikel zum jeweiligen Themenschwerpunkt als PDF über die Verlags-Webseite abrufbar. Und wer im Netz in der alten Zeitschrift für Sozialforschung bzw. Studies in Philosophy and Social Science blättern will, wird auf der IfS-Website gleichfalls nicht fündig, sondern muss den Weg über Wikisource nehmen.

Ähnliches gilt für fast alle Angebote, die unter dem Menüpunkt Publikationen versammelt sind. So bieten die Publikationslisten zur Schriftenreihe des IfS | Frankfurter Beiträge zur Soziologie und Sozialphilosophie, zur Reihe IfS aus der Reihe und zu den Adorno-Vorlesungen nicht mehr als die üblichen bibliografischen Informationen und haben eher den Charakter von Buchtipps. Neugierige Akademiker-Nasen, die mehr wollen, sollten also nicht mit falschen Erwartungen an die IfS-Seite herangehen.

Online verfügbar sind dagegen die IfS Working Papers, ein PubIikationsorgan der IfS-Mitarbeitenden mit aktuellen Aufsätzen, Essays, Vorträgen, Diskussionspapieren und Arbeitsberichten. „Das vergleichsweise freie Format erlaubt es, empirisches Material in größerer Ausführlichkeit darzustellen und/oder auch tentativere Thesen zu verfolgen, als dies in Zeitschriftenartikeln normalerweise möglich ist.“ (IfS) Die Working Papers können als Volltexte auf der IfS-Seite via Deutsche Nationalbibliothek heruntergeladen werden. Die Beiträge haben eine relativ kompakte Form (ca. 30 – 100 Seiten) und ein breites Themenspektrum, das von Autoritarismus und Zivilgesellschaft bis zur Entstehung von Intimität im Internet – Eine wissenssoziologische Untersuchung am Beispiel Online Dating reicht. Alles auf hohem akademischen Niveau, wie es sich für das IfS gehört, was aber interessierte Laien nicht abschrecken muss. Lesetipp: Eine kritische Analyse von Joseph Vogls aktuellem Buch Kapital und Ressentiment – Eine kurze Theorie der Gegenwart (2021), das u.a. aus feministischer Perspektive betrachtet wird.

Ebenfalls ein originäres online-only-Angebot ist seit 2021 der IfS Podcast „Aufzeichnungen“ (via Spotify), der einigermaßen ‚niedrigschwellig‘ über die laufenden Forschungen des Instituts berichtet. „In kurzen Gesprächen erzählen Wissenschaftler:innen, wie sie zu ihrer Forschung gekommen sind, was sie an ihrem Thema interessiert, und geben Einblicke in ihren Arbeitsalltag.“ (IfS). Hörtipp: Gespräch mit IfS-Direktor Stephan Lessenich über Max Horkheimers berühmten Aufsatz Traditionelle und kritische Theorie (1937).

Für alle, die sich für Zeitgeschichte, Kulturwissenschaft und Medientheorie (und für die spannenden Querverbindungen zwischen diesen Bereichen) interessieren, bietet das Institut für Sozialforschung ein besonderes Highlight: Die Video-Dokumentation der Internationalen Siegfried Kracauer-Konferenz, die vom 19. bis 21. Mai 2022 stattgefunden hat.

Siegfried Kracauer (1889 – 1966) ist vor allem bekannt als Autor der filmsoziologischen Schriften From Caligari to Hitler (1947, deutsch: Von Caligari zu Hitler) und Theory of Film (1960, deutsch: Theorie des Films – Die Errettung der äußeren Wirklichkeit), aber diese Bücher bieten nur einen schmalen Ausschnitt aus seinem reichhaltigen Werk, in dem Kunst und Gesellschaft, Geschichts- und Medienphilosophie auf eine Weise zusammengedacht werden, die nach wie vor fasziniert.

Dem IfS war vor allem daran gelegen, Kracauers Bezug zur Kritischen Theorie hervorzuheben. Kracauers Studien „entziffern eine durch kapitalistische Bedingungen vereinseitigte, auf Naturbeherrschung reduzierte Rationalität. Damit hat Kracauer wesentlich zur Formierung und Entwicklung der sogenannten Frankfurter Schule beigetragen.“ Ziel der Kracauer-Konferenz war es, diese „häufig verkannte Lebensleistung zu würdigen“ und „ein aktuelles Bild der Geistesgegenwart, Neugier und destruktiven Energie dieses Frankfurter Denkers“ zu vermitteln.

Beteiligt an diesem interdisziplinären Projekt waren neben den Mitarbeitenden des IfS zahlreiche Expertinnen und Experten aus Philosophie und Soziologie, Medien-, Kunst-, Kultur- und Geschichtswissenschaft, u.a. Vinzenz Hediger, Axel Honneth, Gertrud Koch, Christoph Menke, Johannes von Moltke, Inka Mülder-Bach (Herausgeberin der wissenschaftlichen Kracauer-Gesamtausgabe), Juliane Rebentisch und Bernd Stiegler.

Auf dem YouTube-Kanal des IfS kann man sich die Plenarveranstaltungen, Diskussionsforen und Vorträge jeweils in voller Länge (sieben Videos) anschauen – ein toller Service.

Ergänzender Lesetipp: zwei informative Artikel der Goethe-Universität Frankfurt UniReport Nr. 2/2022 (07.04.2022) und UniReport Nr. 4/2022 (07.07.2022) zum Konzept und zu den Ergebnissen der Veranstaltung.

Manfred Etten

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