| |

„Es ist, wie es ist. Und es ist fürchterlich.“

Jonathan Glazers Film The Zone of Interest

von Wolfram Schütte

Es fällt schwer, beim Betrachten von The Zone of Interest, nicht an „die Banalität des Bösen“ zu denken; und kaum ein Rezensent hat die Formulierung für seine Besprechung des gleichnamigen Films des Briten Jonathan Glazer vermieden. Denn das Paar Rudolf & Hedwig Höß entspricht auf die monströseste Art Hannah Arendts Charakterisierung von einem Verhalten der deutschen Täter des Holocausts.

Die Philosophin war zwar auf die Selbstinszenierung Adolf Eichmanns als „kleines Rädchen“ im industriell organisierten Massenmord der „Endlösung der Judenfrage“ hereingefallen (wie man heute weiß), aber ihre Formulierung traf gleichwohl die niederschmetternde sozialpsychologische Einsicht, dass „ganz normale Menschen“, wie der britische Historiker Browning die Mitglieder eines mörderischen deutschen Polizeibataillons in Osteuropa genannt hat, abgrundtief böse (tätig) sein können. Himmler hat in seiner berüchtigten Posener Rede den Typus des bei seinen Tätigkeiten „anständig gebliebenen“ SS-Massenmörders gefeiert.

Der in Polen hingerichtete ehemalige Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß, der während seiner  Haft eine Autobiografie verfasste, gehörte zwar eher zu den tätigsten Kriegsverbrechern der SS, seine Frau Hedwig aber, die in unmittelbarer Nähe des KZ im Garten ihrer zweistöckigen Villa Blumen & Gemüse (u.a. mit der Asche aus den Krematorien) züchtete, ist gewissermaßen die Ikone für die Banalität eines alltäglichen (Familien-) Lebens, das unbehelligt von der Existenz des „Bösen“ in unmittelbarer Nachbarschaft, ganz „normal“, glücklich & unbeeindruckt vom täglichen Massenmord an der ‚Arbeitsstätte‘ ihres Gatten, geführt wird.

Wie Michael Hanekes Das weiße Band, das kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs im bäuerlichen Norddeutschland spielt, die Brutstätte für die seelische & soziale Inkubation des späteren Nazismus ahnen lässt, so ist die grauenhafte Existenz von Auschwitz in Glazers Zone of Interest präsent, ohne dass der Film je in das KZ einträte.

Und wie Claude Lanzmann in seinem sechsteiligen Dokumentarfilm aus den menschlichen & lokalen Hinterlassenschaften der Shoa diese als Imagination im Bewusstsein der Zuschauer assoziativ beschwört, so hat der britische Regisseur die private Lebenswelt von Rudolf (Christian Friedel) & Hedwig Höß (Sandra Hüller) & ihrer fünf Kinder in unmittelbarer Nähe, gewissermaßen an der Außenmauer von Auschwitz hauptsächlich mit akustischen Mitteln die ländliche Idylle familiärer Unschuld unheimlich werden lassen.

Bevor man als Zuschauer die Farbwelt des Films erreicht, beginnt er minutenlang als Schwärze, die erfüllt ist von dem düster-drohenden Wabern der musikalischen Ouvertüre Mica Levis: als sei dies der dunkle Eingang zur Unterwelt. Mica Levis Musik wird später mehrfach wiederkehren, wie auch eine Akustik-Melange aus Schreien, Schüssen, Rufen oder Hundegebell, die (zusammen mit dem dicken schwarzen Rauch aus den Krematorien) gewissermaßen als permanenter Tonteppich aus der Mordfabrik sich über Planschbecken & Sonnenliegen des kleinen Familien- & Gartenreichs der „Königin von Auschwitz“, wie „ihr Rudi“ die deutsche Landfrau nennt, legt (irritierend nur für uns Zuschauer!).

Er habe diese akustischen Signalements des Mordens skrupulös recherchiert, behauptet der Regisseur. Ob sie es waren (oder auch der Gestank aus den qualmenden Krematorien?), die Hedwigs Mutter dazu gebracht haben, fluchtartig ihr Besuchszimmer über Nacht zu verlassen, nachdem ihr doch tags zuvor noch Hedwig voller Aufsteiger-Stolz ihre Eindrücke heischende  Kulturlandschaft in voller Blüte vorgeführt hatte?

Apropos Kinder: Am Anfang des Films lagert (in einer Totalen) die gesamte Höß-Familie im Gras an einem Baum- & Busch-bestandenen Fluss. Als es dann zum Baden geht, trennen sich wie selbstverständlich die Geschlechter. Da hat das Idyll, das mit dem Konzert der jubilierenden Vögel am Flussufer angehoben hat, ein erstes Signum für seine historische Lokalisation. Bald kommen Frisur & Kleidung hinzu, um erkennen zu geben, in welcher Zeit wir angekommen sind: während des 2. Weltkriegs bei einer deutschen Familie.

Es wird bald klar, dass es sich um die Familie des KZ-Kommandanten von Auschwitz handelt, wobei das Vorwissen von uns Kino-Besuchern über dieses Synonym der industriell betriebenen Vernichtung von Menschen eine entscheidende Rolle beim Verständnis von Zone of Interest spielt.

Ob es sich dabei um eine ‚Verfilmung‘ des gleichnamigen Romans des englischen Schriftstellers Martin Amis handelt, ist dagegen irrelevant. Wichtig allein, den Film als fiktionale Erzählung des britischen Drehbuchautors & Regisseurs Jonathan Glazer wahrzunehmen. Er hat die authentische Hößvilla nicht weit entfernt an der Mauer des KZs in einem verlassenen Haus (samt Garten) rekonstruieren lassen. Deren Innenräume wurden nicht zusätzlich ausgeleuchtet, aber von bis zu zehn ferngesteuerte Kameras (Lukasz Zal) ‚undercover‘ das Spiel der beiden deutschen Hauptdarsteller (quasi ohne Filmteam am Set) aufgezeichnet.

Dadurch entstand eine dokumentarische Anmutung, die dem Film die bedrängende Intensität einer (scheinbaren) Authentizität verschafft – auch, weil Glazer wenig montiert & die Einstellungsgrößen über die ‚amerikanische‘ kaum hinausgehen. Durchgängig suggeriert Zone of Interest ein kühles Klima der Distanz, Isolation & Leere – Anblicke eines ausgebleichten, lieblosen Lebens. Für die Evokation von Traumata hat der Kameramann Zal farblich & dynamisch scharf kontrastive Formen gewählt, die gewissermaßen als frei flottierende Phantasmen Rudolfs in das realistische Geschehen eingelassen sind.

Im letzten Drittel sieht man in einer Folge von Sequenzen nur Rudolf Höß, der zu einer SS-Sitzung in Berlin gerufen worden war, wo ihm seine (zeitweilige) Versetzung nach Oranienburg in Brandenburg mitgeteilt wird. Erkennbar ist er fremd, desorientiert & hilflos in der Welt der militärischen Hierarchie & Gesellschaft.

Während man den KZ-Kommandanten in Auschwitz nie bei seiner ‚beruflichen Tätigkeit‘ sieht & er sich aber als Vater um seine Söhne kümmert oder seiner somnambulen Tochter nachts sogar ein Märchen vorliest, erlebt man als Kino-Augenzeuge die fanatische deutsche Mutter nahezu ununterbrochen in Tätigkeit: sei´s, dass sie ihr Blütenreich inspiziert, einen Pelzmantel, den ihr Rudi aus dem KZ mitgebracht hatte, allein im Schlafzimmer anprobiert, sei’s, selbstherrlich einer polnischen Dienstmagd damit droht, sie zu Asche machen zu lassen. Am eindrücklichsten aber ist jene tiefenscharfe Einstellung, in der man eines morgens Rudolf Höß in der Tiefe des Bildes auf seinem Pferd durch ein Tor ins Lager reiten sieht, & im Vordergrund Hedwig Höß im Garten ihm nachblickt & zu ihrem hechelnden Hund an der Leine sagt: „Da geht Papi zur Arbeit“.

Ob der authentische Rudolf Höß wirklich der Schwächere in dieser Ehe war, der aus Angst vor Hedwig z.B. seine Versetzung nach dem KZ Oranienburg ihr lang verschwiegen hatte & auch in der ‚Aussprache‘ der beiden auf dem Steg im Flussufer den Kürzeren zieht, weil die Aufsteigerin ihr gutsherrliches Leben, Verfügen & Befehlen in der ‚Einflusszone‘ von Auschwitz keineswegs aufgeben will oder ob das abgründig-abstoßende Porträt, das Sandra Hüller von ihr bis zu ihrer Weise zu gehen brillant entwirft, aus der misogynen erzählerischen Erbmasse des Romans von  Martin Amis stammt?

Gleichwohl: es ist der empathielose Amoralismus dieser entkernten menschlichen Subjekte, den „Zone of Interest“ einem vor Augen stellt. Die Warnung mancher Rezensenten vor dem Film erinnert mich an die Angst-Lust, mit deren Erlebnis eines Horrorfilms die oft gleichen Rezensenten sonst hausieren gehen. Es ist aber auch diese realistische filmische Beschwörung der Ehe- & Lebensgemeinschaft der Familie Höß im Schatten von Auschwitz: ein Horrorfilm & kein historischer bloß. In der Bestürzung über diese „ganz normalen“ Menschen am Rande des ‚Zivilisationsbruchs‘ Mitte des letzten Jahrhunderts schwingt unausgesprochen, wenn nicht gar unbewusst, die Ahnung mit, dass wir womöglich dabei auch mit unser aller anthropologischer Entwicklung konfrontiert werden. „Es ist wie es ist. Und es ist fürchterlich“ (H.H. Jahnn).

P.S. Als Appendix hat Jonathan Glazer eine Sequenz von Dokumentaraufnahmen seiner fiktionalen Filmerzählung hinzugefügt. Mit ihnen wird gezeigt, wie die Räume des Museums von Auschwitz gereinigt werden, um die Hinterlassenschaften der Shoa in realer Präsenz zu halten.

Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht am 04.03.2024 auf Glanz & Elend – Magazin für Literatur und Zeitkritik. Danke an Glanz & Elend und den Autor.

zu unserem Web-Porträt Glanz & Elend: Archiv der flüchtigen Gebilde

zu unserem Web-Profil Glanz & Elend: Im Labyrinth der Rezensionen

Bitte akzeptieren Sie YouTube-Cookies, um dieses Video abzuspielen. Dadurch werden Sie zu Inhalten von YouTube, eines externen Anbieters, weitergeleitet. Wenn Sie diese Mitteilung akzeptieren, wird Ihre Auswahl gespeichert, und die Seite wird aufgerufen.

Die Datenschutzbestimmungen von YouTube:

YouTube privacy policy

Filmverleih: LEONINE Distribution GmbH
The Zone of Interest

USA, Großbritannien, Polen 2023

Regie, Drehbuch: Jonathan Glazer
Kamera: Lukasz Zal
Musik: Mica Levi
Schnitt: Paul Watts
Darsteller: Sandra Hüller, Christian Friedel, Ralph Herforth, Max Beck, Stephanie Petrowitz

Bildnachweise

Filmposter The Zone of Interest: © Leonine Studios

Rudolf Höß als Angeklagter beim Gerichtsprozess in Polen: © Polska Agencja Prasowa (PAP), Public domain, via Wikimedia Commons

Die vier älteren Kinder von Rudolf Höß: © Public domain, via Wikimedia Commons

Das Filmteam bei der Pressekonferenz in Cannes: © Canal22, CC BY 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/3.0>, via Wikimedia Commons

weitere Beiträge