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Einmal um die ganze Welt

Schwejk-Autor Jaroslav Hašek im russischen Bürgerkrieg

von Wolfgang Brenner

Jaroslav Hašek mit Soldatenmütze mit Stern und Stehkragenhemd
Jaroslav Hašek 1920, in der Kleidung der Roten Armee, in der er gekämpft hatte

Vor 100 Jahren kämpfte die Tschechische Legion im Russischen Bürgerkrieg und umrundete dabei den Erdball. Jaroslav Hašek, der Autor des Schwejk, gehörte dazu.

Anfang 1915 steht es mit Jaroslav Hašek nicht zum Besten. Er ist 31 Jahre alt und seit Mai 1910 mit Jarmila Mayerová verheiratet. Der Schriftsteller ist nicht beliebt bei seinen Schwiegereltern – sei es, weil er sich gerne mit anarchistischen Existenzen umgibt oder weil er mehr Zeit in den Kneipen Prags verbringt als bei Frau und Söhnchen. Jarmila stammt aus einer liberalen und gebildeten Familie, schreibt viel (sie übersetzt später Kästners Emil und die Detektive, ist als frühe Feministin aktiv) und führt ein eigenständiges Leben.

Hašek wäre Jarmila und ihrer Familie zuliebe gerne solide, Aber er fliegt überall wegen seiner „unernsten Einstellung zur Arbeit“ raus; er zieht lieber als Landstreicher durch Ungarn und Deutschland, als im Büro zu sitzen. Als Redakteur der Zeitschrift Welt der Tiere wird er entlassen, weil er neue Spezies erfindet und darüber auch noch frech mit Biologen korrespondiert. Zwischen 1912 und 1915 flüchtet er sich in Alkoholexzesse (bis zu 36 Halbe Bier am Tag), verbringt seine Zeit in den Prager Kaschemmen und lässt sich von Freund zu Freund treiben. Aber er schreibt, wo er geht und steht – es sind mehr als 1500 Kurzprosatexte von ihm überliefert.

Deserteur und Kriegsgefangener

Hašek desertierte schon nach wenigen Monaten – im September 1915 landete er in einem russischen Kriegsgefangenenlager. Zwei Millionen Soldaten saßen in den Lagern, viele in Zentralasien und in Sibirien.Die Zustände entsprachen denen im übrigen Russland, das unter dem Weltkrieg ächzte. Abertausende starben an Flecktyphus. Werber der Entente-Mächte Frankreich und Großbritannien kamen in die Lager. Wie viele seiner Landsleute ließ sich auch der Prager Schriftsteller für die Tschechische Legion rekrutieren.

Noch in der k.u.k.-Armee: Jaroslav Hašek 1915

Die Legion war im September 1914 von tschechischen Nationalisten gegründet worden – für Landsleute, die in Russland arbeiteten. Erst später wurden auch Kriegsgefangene und Deserteure der k.u.k-Armee aufgenommen. Die Družina (Gefolgschaft) hatte vorerst propagandistische und nachrichtendienstliche Aufgaben: Sie sollte Landsleute zum Überlaufen überreden und Informationen sammeln. 1918 bestand die Legion in Russland aus etwa 35.000 Mann. Ihre politischen Führer Beneš und Masaryk erhofften sich nach der Niederlage der Wiener Monarchie Autonomie für ihr Heimatland. Beide wurden später Staatspräsidenten der Tschechoslowakei.

Anti-österreichische Satiren für die Legionäre

Jaroslav Hašek schrieb für die Soldatenzeitung der Legion anti-österreichische Satiren. Doch er fühlte sich nicht wohl: Obwohl Offiziere wieder als Mannschaften anfangen mussten, spürte er in der „Gefolgschaft“ den alten Geist der k.u.k.-Militärs.

Nach der Februar-Revolution wurde die Družina auch an die Front geschickt. Am 1. und 2. Juli 1917 kämpfte eine Schützenbrigade der Legion unter dem russischen General Erdeli in der Schlacht bei Zborow (Galizien). 3.500 schlecht ausgerüstete Legionäre, die nicht einmal Maschinengewehre zur Verfügung hatten, standen zwei Infanterieregimentern mit 5.500 gut bewaffneten Landsleuten aus Pilsen und Neuhaus gegenüber.

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Video: Schwejk (Fritz Muliar) stellt sich vor (1972)

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Video: Heinz Rühmann als Schwejk im Spielfilm von 1960

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Audio: Das Eingreifen des braven Soldaten Schwejk

Die Taktik hatten tschechische Offiziere ausgearbeitet: Stoßtrupps drangen mit Handgranaten tief in die k.u.k.-Stellungen ein. Trotz der Übermacht machten die Legionäre 3.300 Gefangene – darunter 61 Offiziere. Die Schlacht bei Zborow sollte die einzige erfolgreiche Operation der insgesamt misslungenen Kerenski-Offensive werden, deren Ausgang die bolschewistische Oktober-Revolution in Petersburg befeuerte. Die Legion ging jedoch gestärkt aus der Schlacht hervor: Nachdem man sie ursprünglich verkleinern wollte, wuchs sie nun und bekam sogar Panzerzüge.

Sympathie für Lenin und Trotzki

Nach der Revolution schickten die USA, Großbritannien und Frankreich Interventionstruppen nach Archangelsk und Murmansk, die Waffendepots sichern, die Tschechen raushauen, die Bolschewisten vertreiben und dafür sorgen sollten, dass Russland an die Front zurückkehrte. Hašek aber sympathisierte mit Lenin und Trotzki. Er richtete eine Erklärung an den Tschechoslowakischen Nationalrat: „Ich teile Ihnen mit, dass ich mit der Politik der Zweigstelle des Nationalrates und mit dem Abtransport unserer Armee nach Frankreich nicht einverstanden bin: Ich trete deshalb solange aus der tschechischen Armee aus, bis in ihr und in der Leitung des Nationalrates eine andere Richtung vorherrschen wird.“

Die Tschechische Legion sollte nach dem Willen der Alliierten in Frankreich weiterkämpfen. Wie aber konnte sie nach Westeuropa gelangen? Gerieten die Legionäre in die Hände der k.u.k.-Armee, mussten sie mit der Todesstrafe rechnen. Da entschloss man sich zu einer abenteuerlichen Lösung: Wenn der Weg nach Westen versperrt war, musste man halt den nach Osten nehmen. Die Legion sollte durch Sibirien nach Wladiwostok und von dort aus mit dem Schiff über Pazifik und Atlantik nach Europa gelangen. Eine Reise um die Welt also.

Bei den Bolschewiki

Leider standen in Wladiwostok nicht genug Schiffe zur Verfügung. So verlegten sich die Entente-Mächte darauf, die Tschechen vorerst in Russland gegen die Bolschewiken kämpfen zu lassen. Um das zu vermeiden, sagte Trotzki ihnen Sicherheit zu und bot ihnen sogar an, sich als Sowjetbürger in Russland anzusiedeln. Auf dem II. Delegiertenkongress der Legion schloss sich eine Minderheit den Bolschewiki an. Unter ihnen befand sich auch Jaroslav Hašek, der der Kommunistischen Partei Russlands beitrat und in der Roten Armee als Politkommissar tätig wurde.

Im Juni 1918 kämpfte Hašek bereits mit der 5. Armee in Samara gegen die Weißen Garden. Von der Wolga aus richtete er einen Appell an seine Landsleute in der Legion: „Bleiben wir in Rußland an der Seite der sozialistischen Revolution. Dann spielen wir eine den Nachkommen der Hussiten würdige Rolle.“

Jaroslav Hašek (3. v.r.) als Kommandant in der Roten Armee
Jaroslav Hašek (3. v.r.) als Kommandant in der Roten Armee

Hašeks Kampf fand nur selten an vorderster Front statt. Für Armeezeitschriften verfasste er Artikel in russischer, deutscher und ungarischer Sprache, er hielt politische Vorträge. Gleichzeitig arbeitet er als Redakteur der deutschsprachigen Zeitschrift Sturm, der ungarischen Roham und der mongolischer Yr (Die Flamme).

Über seine Zeit an der Seite der Bolschewisten berichtet Hašek in seinem Text Kommandant der Stadt Bugulma (1921), der in der CSSR erst 1966 erscheinen durfte (In: Die Ausrottung der Praktikanten der Speditionsfirma Kobkán, Stuttgart 2015). Als er anlässlich seiner Ernennung zum Kommandanten von Bugulma, einer zentralrussischen Stadt, gut 300 Kilometer südöstlich von Kasan gelegen, den zuständigen Revolutionsmilitärsowjet besorgt fragt, ob die Stadt denn schon in bolschewistischer Hand sei, antwortet dieser: „Ich hoffe doch sehr, dass sie fallen wird, noch bevor Sie dort ankommen.“

Eine Lektion in Anarchie und Despotismus

Was folgt, ist eine absurde Lektion in Sachen Anarchie und Despotismus. Die Volksgruppen, die nach Bugulma geschwemmt werden, machen sich gegenseitig das Leben zur Hölle, sie führen Befehle gegenläufig aus und überflügeln sich mit paradoxen Propagandafloskeln. In Don-Camillo-und-Peppone-Manier kabbelt sich Kommandant Gaschek (wie die Russen Hašek nennen, weil es im Russischen kein ‚H‘ gibt) mit dem rivalisierenden Leiter des Revolutionsregiments aus Twer, Jerochimow. Man versucht, sich gegenseitig zu entmachten, droht mit standrechtlichem Erschießen und kooperiert dann doch gegen die bolschewistische Militärhierarchie.

En passant liefert Hasek in seinem satirisch überspitzten Frontbericht Potjomkinsche Dörfer eine spöttische Litanei des Bolschewismus. Als eine Untersuchungskommission sich ankündigt, wird Gaschek von seinem Kontrahenten Jerochimow gewarnt: „Hast du die Pferde mobilisiert? Du hast sie nicht mobilisiert. (…) Hast du die Konterrevolutionäre einsperren lassen? Hast du nicht einsperren lassen. Und jetzt sag mir noch eines: Hast du wenigstens einen von den Popen oder einen aus dem Kaufmannsstand erschießen lassen? Hast du nicht. (…) Und der ehemalige Bürgermeister der Stadt, ist der noch am Leben oder ist er tot? Am Leben. Da siehst du’s, und da behauptest du noch, du hättest nichts zu befürchten. Schlecht steht es um dich, mein Freund.“

Honoratioren im Schweinestall

Der erfahrene Sowjet Jerochimow weiß Rat: Er legt Gräber an, auf denen Kreuze mit den Namen der örtlichen Honoratioren stehen. Die Herren werden für die Dauer der Revision in einem Schweinestall versteckt. Die Inspektion geht gut aus für den Kommandanten der Provinzstadt Bugulma.

Gegen ihren Willen wurde auch die Legion zur Bürgerkriegspartei. Am 14. Mai 1918 kam es am Ural zu Schlägereien mit ungarischen Kriegsgefangenen, bei denen es Tote gab. Die Sowjets von Tscheljabinsk verhafteten einige Tschechen. Die Legionäre besetzten daraufhin kurzerhand die Stadt und befreiten ihre Kameraden. Trotzki befahl am 25. Mai per Telegramm: „Jeder bewaffnete Tscheche, der in der Eisenbahn aufgegriffen wird, ist auf der Stelle zu erschießen.“

Nachdem die Legion Samara – ein Paradies verglichen mit den hungernden Städten Moskau und Petersburg – erobert hatte, befahl Trotzki die Zwangseinberufung von Arbeitern. Sie bekamen auf dem Weg zur Front erstmals Waffen in die Hände. Gegen die gut ausgebildeten und kampferfahrenen Tschechen hatten sie keine Chance. Trotzki setzte alles daran, die eroberten Städte schnellstens zurückzugewinnen. An Lenin schrieb er: „Leichtgewichtsagitatoren sind hier nicht vonnöten.“ Er wollte „todesmutige Kommunisten“. In einer anderen Botschaft von der „tschechischen Front“ verlangte er Pistolen und eine „gute Militärkapelle“. Ebenso wollte er Tapferkeitsmedaillen einführen. Dieses Gesuch musste er dreimal wiederholen – den Bolschewiki war das unangenehm, weil sie die Orden gerade erst abgeschafft hatten.

Die Rote Armee nahm Kasan am 10. September 1918 wieder ein. Der lettische Oberst Vatsetis, der den Angriff befehligte, wurde von Trotzki zum Oberbefehlshaber der Roten Armee gemacht. Samara fiel am 7. Oktober 1918. Ende Oktober 1918 befand sich das gesamte Wolgagebiet unter sowjetischer Herrschaft. Anfang 1919 zog sich die Legion nach Irkutsk zurück. Die Tschechen versuchten, sich zu retten. Sich – und das Zarengold, das sie seit der Eroberung von Jekaterinburg mit sich führten. Es wurde 1920 zurückgegeben – kurz bevor der letzte Legionär Russland verließ. Allerdings mussten die Russen feststellen, dass ein beträchtlicher Teil des Schatzes fehlte. Die Tschechen hatten fleißig Geld nach Hause geschickt …

Am 15. Januar 1920 konnten die ersten Soldaten der Tschechischen Legion Wladiwostok verlassen. Am 2. September wurde der letzte Legionär im Hafen von Wladiwostok eingeschifft. Die Soldaten dieser Passage trafen am 20. November 1920 in Prag ein. Insgesamt hatten 250.000 Tschechen und Slowaken gegen die Mittelmächte gekämpft – an allen Fronten. 67.783 nahmen den Heimweg über den Pazifik. 4.112 Legionäre waren in Russland gefallen.

Erinnerungstafel zur Bücherverbrennung der Nazis in Bonn
Erinnerungstafel zur Bücherverbrennung der Nazis in Bonn

Schwejk wie im Fieber diktiert

Auch Jaroslav Hašek kehrte heim. Er litt an Tuberkulose. Hašek brachte seine neue russische Ehefrau mit nach Prag. Von Jarmila war er noch nicht geschieden. Deshalb drohte ihm eine Anklage wegen Bigamie – und die Todesstrafe wegen seines Aufrufs zur Desertion. Er machte sich an die Endfassung des Schwejk, an dem er schon in Russland gearbeitet hatte. Doch der familiäre Stress war zu viel für den Veteranen aus dem Russischen Bürgerkrieg. Er begann wieder zu trinken. Hätten seine Freunde ihn nicht in das ostböhmische Nest Lipnice verfrachtet, wäre der Schwejk nie geschrieben worden. Wie im Fieber diktierte Hašek in einem Gasthof den Roman. Am 3. Januar 1923 starb er, erst 39, an den Folgen des Alkohols. Den Schwejk, der ihn weltberühmt machte, konnte er nicht mehr vollenden.

Jaroslav Hašek 1922 mit seiner zweiten Ehefrau, der Russin Alexandra Lvova


Wolfgang Brenner

ist Journalist, Filmemacher und  Autor zahlreicher Sachbücher und Romane. Er lebt in Berlin und im Hunsrück.

Bildnachweise


Fotos Jaroslav Hašek 1915, 1920: http://www.radio.cz/cz/clanek/36460, Public domain, via Wikimedia Commons
Cover Le brave soldat Chveik (französische Ausgabe) von Jaroslav Hašek: http://sources.ebooksgratuits.com, Fair use
Russische Briefmarke Jaroslav Hašek: Sowjet postal service, gemeinfrei, via Wikimedia Commons
Jaroslav Hašek, Stern der Satire, Walk of Fame des Kabaretts: © Olaf Kosinsky, CC BY-SA 3.0 de, via Wikimedia Commons
Gruppenfoto mit Jaroslav Hašek in der Roten Armee: http://www.sovsekretno.ru/magazines/article/1578, Public domain, via Wikimedia Commons
Jaroslav Hašek mit Fliege: http://www.justmj.ru/forum/12-3852-1, Public domain, via Wikimedia Commons
Jaroslav Hašek 1921: Fotograf unbekannt, Public domain, via Wikimedia Commons
Erinnerungstafel Bücherverbrennung für Jaroslav Hašek © Axel Kirch / CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Jaroslav Hašek und Alexandra Lvova 1922: Fotograf unbekannt, Public domain, via Wikimedia Commons
Foto Wolfgang Brenner: © Galerie Julia Johannsen

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